Der Vergessene
abdienen, Amos, denke daran.«
»Nicht ich.«
»Doch, auch du. Wir alle. Ohne Lilith hätte es uns nicht so gegeben, denn sie ist es gewesen, die dir den Weg bereitet hat. Das darfst du niemals vergessen. Sie hat auch für dich gesorgt. Sonst würdest du ein anderer sein. Lilith ist nicht nur meine Retterin, sondern auch unsere Königin. Ich habe ihr eine Schutztruppe aus dankbaren Kreaturen versprochen, und dieses Versprechen werde ich halten. Du gehörst auch da hinein, du und andere.«
Amos Atkins hob die Schultern.
»Denk daran, ich komme wieder. Und wünsche dir nicht, von mir geküsst zu werden. Ich habe schon einen geküsst, der nicht so wollte, wie ich es vorgesehen hatte. Er lebt nicht mehr. Andere schon, denn wir werden eine starke Macht bilden.« Mit einem Satz sprang Kamuel auf die Brüstung. Es sah so leicht aus, und er blieb auch kaum stehen, denn aus der Bewegung hervor tat er den nächsten Schritt. Er fiel in die Tiefe…
Amos sprang vor. Klammerte sich am Geländer fest, schaute hinunter, aber er sah keinen fallenden Menschen, sondern einen, der dem Erdboden entgegenschwebte. Der Mantel war vom Aufwind erfasst worden und hatte sich leicht gebläht. So sah er aus wie ein großer Vogel, der schnell in die Schatten der Dunkelheit eintauchte.
Atkins wandte sich ab. Er blickte auf seine Hände und sah dort etwas, was ihm selten passiert war. Die Finger zitterten…
Wütend darüber schüttelte er den Kopf und betrat wieder sein Penthouse. Er schloss heftig die Tür, wusste jedoch, dass sie gegen Kamuel keine Sicherheit bot. Aus dem schmalen hohen Regal holte er eine Flasche Wodka und ein hohes Glas. Er hatte Lust, sich zu betrinken, obwohl ihm das schwer fiel, denn jemand wie er konnte eine Menge vertragen. Halbvoll goss er das Glas, betrachtete es in der Hand haltend, zuckte die Achseln und fragte mit leiser Stimme: »Worauf soll ich denn trinken, verdammt? Bestimmt nicht auf die Vergangenheit.«
Doch eine andere Lösung fiel ihm nicht ein. Sie hatte ihn voll unter Kontrolle…
Nach dem dritten Wodka erschien plötzlich Carol Maxwell. Sie hatte den Whirlpool endlich verlassen und war durch den Flur gegangen, hatte sich aber nicht angezogen, sondern ein Badetuch lässig um den Körper gewickelt.
»Du säufst?« fragte sie, als sie dicht hinter der Tür stehen blieb und sich über die Dunkelheit wunderte, in die sich ihr Freund zurückgezogen hatte. Es brannte nur eine Lampe. Er hockte in seinem Sessel wie ein erstarrter Schatten.
»Ja, ich trinke.«
»Warum?«
»Vielleicht ein Abschied.«
Das begriff Carol nicht. Sie zog das Badetuch enger um ihren Körper und schritt auf ihren Freund zu. Carol war genau dreißig. Sie hatte glattes rötliches Haar, ein schmales Gesicht mit zahlreichen Sommersprossen, war ziemlich schlank und sah recht nett aus. Als absolute Schönheit konnte man sie nicht bezeichnen, aber ihre Qualitäten im Bett waren auf keinen Fall zu unterschätzen, das wusste auch Amos. Er hatte schon mit vielen Frauen geschlafen, aber Carol gehörte in die Spitzengruppe.
Ihr Haar war noch nass. Es sah dunkler aus und umhing den Kopf in Strähnen. Sie trug keine Schuhe, nahm Amos gegenüber Platz, wo sie auch sitzen blieb und die Beine übereinander schlug. Sie bewegte ihre Zehen, um sie gelenkig zu machen und schaute ihren Freund misstrauisch an.
»Ist was?« fragte er.
»Wie viel Wodka hast du schon getrunken?«
»Drei.«
»Scheiße.«
»Wieso das?«
»Was fragst du? Morgen ist Premiere. Die Show ist doch verdammt wichtig für dich. Denkst du denn, dass ich den ganzen Pressewirbel inszeniert habe, nur um einen verkaterten Moderator zu erleben? Das geht doch in die Hose.«
Er grinste sie kantig an. »Wie kommst du darauf?«
»Weil ich es weiß.«
»Ach so? Du weißt das? Na denn.« Er goss sich einen vierten Wodka ein, was Carol mit großen Augen beobachtete. »Du weißt gar nichts. Du weißt erst recht nicht, wie viel ich vertragen kann. Das solltest du dir genau merken, verflucht.«
»Du bist wahnsinnig.«
»Vielleicht.«
Carol war wütend. Sie hätte explodieren können, aber sie dachte nach und fragte, während ihr Gegenüber langsam trank. »Du gefällst mir nicht, Amos. Du hast dich in den letzten Tagen stark verändert. Du wirkst wie jemand, den Sorgen drücken. Habe ich recht? Ist das so? Hast du Probleme?«
Gelassen stellte er sein Glas ab. »Es kann sein, dass ich Probleme habe, aber das sind nicht deine.«
Erst wollte sie lachen, dann unterdrückte Carol die
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