Der Verhandlungs-Profi
auch für Nordamerikaner ist das Thema des aggressiven Erstvorschlags nicht ganz einfach, weil dieser von vornherein einen gewissen Verhandlungsspielraum beinhaltet. Das ist etwas, was wir nicht unbedingt gewöhnt sind. In Afrika, Asien oder im Mittleren Osten ist dies allerdings Teil der Verhandlung. Hier muss der Erstvorschlag aggressiv sein, weil es sonst zum Leidwesen der Einheimischen nicht zum allseits beliebten Feilschen kommen würde.
Die Relevanz eines aggressiven Erstvorschlags können Sie übrigens bei sich selbst gut testen: Bringen Sie diesen vor, ohne innerlich zu lachen, zu zweifeln oder ohnehin mit sofortiger Ablehnung zu rechnen, dann ist er in Ordnung.
Der optimistische Erstvorschlag birgt die größte Chance
Der optimistische Erstvorschlag liegt spürbar unter dem aggressiven Erstvorschlag, ist aber immer noch auf ein Verhandlungsergebnis weit über Ihrem Must-have ausgerichtet. Er beinhaltet immer noch einen komfortablen Verhandlungsspielraum, birgt aber nicht von vornherein das Risiko der Ablehnung durch Ihren Verhandlungspartner aufgrund der extremen Positionierung. Der optimistische Erstvorschlag ist für kooperative Verhandler dennoch eine Herausforderung. Denn diese würden von Natur aus eher zum moderaten Erstvorschlag tendieren, den wir uns als Nächstes ansehen.
In Studien, in denen die Profitabilität von Deals auf dem Immobilienmarkt untersucht wurde, zeigte sich, dass die Geschäfte, die mit optimistischen Erstvorschlägen eröffnet und dann reduziert wurden, die höchste Profitabilität brachten. Wohingegen niedrigere Erstvorschläge ohne Verhandlungsspielraum wesentlich schwieriger abzuschließen waren, genauso wie aggressive Erstvorschläge.
Das Besondere am optimistischen Erstvorschlag ist, dass Sie selbst bei Reduktion des Vorschlags immer noch größere Chancen auf eine Einigung haben als bei einem niedrigeren Vorschlag mit nur weniger Reduktion. Der Grund dafür ist die Zufriedenheit über die Höhe des Nachlasses, die schwerer wiegt als die absolute Summe, selbst wenn es um eine Transaktion geht. Wenn ich zum Beispiel 100 Euro für einen Gegenstand verlange und diesen dann für 70 Euro an Sie verkaufe, ist es für Sie wesentlich befriedigender, als wenn ich zuerst 75 Euro möchte und den Gegenstand dann für 70 Euro an Sie verkaufe.
Außerdem eröffnet der optimistische Erstvorschlag noch eine weitere sehr beliebte Möglichkeit in Verhandlungen, nämlich den Verkauf von Zusatzleistungen. Angenommen, Sie buchen eine Reise für 3.000 Euro und bekommen diese für 2.500. Jetzt wird Ihre Bereitschaft sehr hoch sein, zusätzlich eine Reisekostenversicherung, ein All-inclusive-Paket oder ein Wellness-Paket zu kaufen. Denn immerhin haben Sie ja bereits 500 Euro vom Originalpreis gespart.
Wäre der Originalpreis 2.500 Euro gewesen und nicht weiter verhandelbar, dann hätten Sie wohl kaum so viele Zusatzservices in Anspruch genommen. Dasselbe passiert beim Einkauf von Möbeln, Autos, Haushaltsgegenständen und Ähnlichem. Das bedeutet für Sie: So gut Sie den optimistischen Erstvorschlag selbst verwenden können, so oft fallen Sie auch selbst darauf herein, wenn Sie Dinge anschaffen, bei denen Sie sich gar nicht so sehr dessen bewusst sind, dass der Vorgang des Kaufens eine Verhandlungssituation ist.
Wann der optimistische Erstvorschlag nicht funktioniert
Es gibt aber auch Situationen, in denen der optimistische Erstvorschlag nicht funktioniert. Nämlich dann, wenn Sie keinen oder kaum einen Hebel (s. Phase 4, Optimieren) haben und Ihr Verhandlungspartner das weiß. Dann hätte er nämlich überhaupt keinen Grund, Ihrem Vorschlag zu folgen. Mehr noch, Sie würden sich damit sogar lächerlich machen.
Der optimistische Erstvorschlag ist außerdem kritisch, wenn Sie selbst über eine Premiumleistung oder über einen Premiumgegenstand verhandeln. So wird es Ihnen zum Beispiel nicht gelingen, in einem der zahlreichen Louis-Vuitton-Shops weltweit mit optimistischen Erstvorschlägen auch nur ein Prozent Rabatt zu bekommen. Es gibt schlicht und einfach keinen Rabatt – und genau das trägt zum Image des Premiumherstellers bei.
Der moderate Erstvorschlag
Ich empfehle Ihnen, eher moderate Vorschläge zu machen, wenn Sie mit jemandem verhandeln, mit dem Sie in einer sehr guten Beziehung stehen und eine sehr enge Partnerschaft pflegen. Der optimistische Erstvorschlag oder, noch schlimmer, ein aggressiver Erstvorschlag könnte eine solche Beziehung durchaus gefährden, wenn er unerwartet
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