Der verkaufte Patient
Staatsministerin
Immer wieder einmal gibt es Politiker, die offen reden. Im Juni 2008 reichten Ärzte die folgende Aussage der Staatsministerin Müller aus dem Bundeskanzleramt von Hand zu Hand. Ein Arzt hatte sie nach der Zukunft der niedergelassenen Ärzte in Deutschland befragt, worauf er die vielsagende Antwort erhielt:»Wir werden den Teich austrocknen und wir werden die Frösche dazu nicht befragen«, so Staatsministerin Hildegard Müller.
Wenn Hausärzte und Fachärzte in Zukunft mit politischen Entscheidern reden, sollten sie wissen, dass sie aus der Froschperspektive heraus sprechen. Ihr Ort ist der Biotop, ihr Status der vorläufige Artenschutz; demnächst wird die ganze Landschaft der Flurbereinigung zum Opfer fallen. Die Bagger sind schon in Stellung gebracht. Mir bleibt es im Übrigen ein unerfindliches Geheimnis der Frau Staatsministerin, wie sich diese offen gezeigte Arroganz der Macht mit der von ihr so hervorgehobenen Verwurzelung im katholischen Glauben verträgt. Man beachte dazu das Porträt auf der Website des Bundestages.
Ullas Zahlenverwirrspiel
In der aktuellen Debatte um unser Gesundheitssystem wird ein kaum durchschaubares Spiel mit Zahlen betrieben. Jeder der Beteiligten – Ärzte und Kassenvertreter, Politiker und KV-Fürsten – hat ein paar Zahlen im Koffer, die er bei Bedarf den anderen um die Ohren hauen kann. »Jetzt sagen Sie nichts mehr, wie?« Zahlen sind Knebel, um dem anderen den Mund zu stopfen. Wir Patienten selbst sind die Adressaten dieser Zahlenakrobatik. Die organisierte Komplexität lässt es zu, dass Orientierung schwierig ist und der irritierte Bürger bald nicht mehr weiß, wo vorne und hinten ist. Höchste Zeit, dass aus Patienten »Bürgerpatienten« (ich kreiere mal wieder ein neues Wort) werden! Wir sollten es uns nicht länger gefallen lassen, dass wir bloß behandelt werden. Patienten sind Bürger mit Grundrechten. Und da wir zahlende Bürger sind, verlange ich Klarheit über Zahlen. Meine Vermutung ist: Wir sollen die Spielregeln, nach denen die Zahlen organisiert werden, nicht verstehen. Desinformation ist Teil der in mehreren Stufen verdeckt geschehenden Umbauten.
Chuzpe einer rheinischen Frohnatur?
Vor laufenden Fernsehkameras füttert Ulla Schmidt die Öffentlichkeit mit verwirrenden Zahlen. Das Ganze geht in der Hatz, in der die eine Nachricht die nächste jagt, unter. Aber sehen wir einmal genauer hin! Nehmen wir einmal die Vorgänge beim Deutschen Ärztetag 2007 in Münster unter die Lupe. Damals forderte Prof. Hoppe, immerhin Präsident der Bundesärztekammer, für die gesetzliche Krankenversicherung mehr Geld. Es gebe einen sich so und so zusammensetzenden Fehlbetrag von 30 Milliarden Euro, über dessen Ausgleich man sprechen müsse. 30 Milliarden – nun, das ist nicht gerade ein Pappenstiel. Statt differenziert auf diese Zahl einzugehen und differenzierte politische Lösungsansätze vorzulegen, warf die Ministerin kameragerecht eine andere Zahl in den Raum: 240 Milliarden Euro! So viel Geld flösse Jahr für Jahr in das deutsche Gesundheitswesen. Ulla Schmidt: »Das muss reichen, damit ein Volk von 80 Millionen Menschen ordentlich versorgt wird.« Klingt plausibel. Kamera aus. Nächste Nachricht.
Was die Kamera nicht mehr zeigte: wie den Anwesenden des Deutschen Ärztetages schier die Spucke wegblieb angesichts einer solchen ministeriellen Chuzpe, man könnte auch sagen populistischen Dreistigkeit. Musste doch der Fernsehzuschauer annehmen, es flössen alljährlich 240 Milliarden Euro in den Beitragsverteilertopf der gesetzlichen Krankenkassen.
Jeder im Saal wusste, was Ulla Schmidt weiß: Wenn über den GKV-Verteilertopf gesprochen wird, reden wir über ca. 150 Milliarden Euro. Wo zum Teufel aber hat Ulla Schmidt nun die 240 Milliarden her? Auch das ist ja eine Zahl, die nicht völlig aus der Luft gegriffen ist – irgendwo hat sie der Bürger schon einmal gehört. Prof. Fritz Beske, Leiter des Instituts für Gesundheitssystemforschung in Kiel, schlüsselt auf: »Grundlage dafür sind die vom Statistischen Bundesamt für 2005 veröffentlichten Gesundheitsausgaben nach Ausgabenträgern.Davon entfallen, jeweils abgerundet, auf die Gesetzliche Krankenversicherung 140, auf öffentliche Haushalte 14, die soziale Pflegeversicherung 19, die gesetzliche Rentenversicherung und die gesetzliche Unfallversicherung jeweils 4, die private Kranken- und Pflegeversicherung 22, Arbeitgeber 10 sowie private Haushalte und private Organisationen 32.
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