Der verkaufte Patient
Interesse der Bürger in der Pflicht – eine Tatsache, die wir leider noch bemühen müssen.
Ein leichter Touch von Braun
Nun lese ich in meinem privaten kleinen Jus-Seminar eine merkwürdige Anmerkung. Die Rechtsform der
Körperschaft des öffentlichen Rechts
sei in Nazizeiten missbraucht worden, heißt es da, als »Mittel, um gesellschaftliche Organisationen in den ›totalen Staat‹ einzugliedern (Gleichschaltung)«. Aha, denke ich mir, da kommen wir der Sache schon etwas näher.
Gleichschaltung
– das Wort fiel oft, wenn Ärzte über ihre KV schimpften. Warum nicht einmal ein bisschen in den Geschichtsbüchern nachgraben? Wie war das denn, als die KVen entstanden? Nachdem Bismarck im 19. Jahrhundert die Großtaten seiner Sozialgesetzgebung ins Werk gesetzt hatte, entstanden auch eine Fülle von Krankenkassen, die zunächst Einzelverträge mit den Ärzten schlossen. Die kamen dabei aber so schlecht weg, dass es sogar zu Unruhen, ja bis zu einem Beschluss zum Generalstreik unter den Ärzten kam. 1913 musste deshalb der Staat eingreifen und Vorläufer der Institution »Kassenärztliche Vereinigungen« schaffen, zu deren offizieller Gründung es allerdings erst 1931/32 kam. Seit dieser Zeit gibt es das Gegenüber von Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen. Fast noch bedeutsamer für die Institution wurde allerdings der 2. August 1933. Den neuen faschistischen Herren kam die Tatsache einer solchen Konstellation hoch gelegen. Sie schafften die regionalen KVen gleich wieder ab und begründeten eine einheitliche deutsche Kassenärztliche Vereinigung. Das Ziel war klar: Gleichschaltung!
Der unterbliebene Ausstieg
Ärztliche Standesvertreter begrüßten »freudigst den entschlossenen Willen der Reichsregierung« und stellten sich »freudigst in den Dienst dieser großen vaterländischen Aufgabe« mit dem »Gelöbnis treuester Pflichterfüllung als Dienerder Volksgesundheit«. Die neuen Machthaber wussten, wie man die Ärzte – viele unter ihnen ideologisch unsichere Kantonisten – auf Linie bringt: Indem man den Geldhahn besetzt und ihn je nach strategischem Bedarf hier öffnet und dort schließt. In der Tat ist die (von Ausnahmen abgesehen) im Ganzen nicht sonderlich rühmliche Geschichte der Ärzteschaft im Nazireich auch ein Effekt ihrer ebenso frühzeitigen wie nachhaltigen Gleichschaltung. Jüdische Ärzte wurden ausgegrenzt, Euthanasie als staatliches Programm durchgezogen. Im Grunde wollten die Ärzte »nicht aussteigen«; sie wollten ihre Ruhe haben, in Ruhe kurieren und von den großen Weltläuften in Ruhe gelassen werden. Dr. Haedenkamp, ein Ärztevertreter, der vor und nach der Wende von 1933 eine Rolle spielte, schwor die Ärzteschaft ein auf die neuen Rahmenbedingungen: »In Zukunft lenkt uns der starke Wille autoritärer Führung … Wir kennen die Pflichten, die wir ihm gegenüber zu erfüllen haben. Indem wir ihnen nachkommen, erwerben wir uns das Recht auf Würdigung unserer Arbeit und auf die Stellung im Staate, auf die wir Anspruch erheben müssen …« Der ausbleibende Widerstand der Ärzte stärkte die Politik bis weit über das Tausendjährige Reich hinaus. Wikipedia schreibt: »Die o. g. Verordnung (zur Gleichschaltung,
d. Aut
.) war damit ein Mittel, die Selbstbestimmung der Ärzte umzuwandeln in ein parastaatliches Exekutivorgan, das die Kassenärztlichen Vereinigungen bis heute sind.«
Fragt sich nur: Warum schaffte man die KV dann nicht nach dem Krieg gleich wieder ab oder installierte sie in der vorfaschistischen Form einer gemeinsamen ärztlichen Interessenvertretung gegenüber den Kassen? Warum reorganisierte man nicht ein Gegenüber, aus dem sich der Staat operativ heraushielt? Ich habe hier nur eine Vermutung (und lasse mich von Historikern gern eines Besseren belehren): Vielleicht blieb Vater Staat einfach nur sitzen am Geldhahn, um sich generell der politischen Handhabemöglichkeit nicht zu berauben. Weiß man, für was man das noch braucht?
Ein parastaatliches Exekutivorgan und viele Schäfchen,
die ins Trockene wollen
Jetzt versteht man vielleicht die vehementen Vorbehalte, die viele Ärzte gegen diese Einrichtung hegen, besser. Die Politik hat sich nämlich in der Folge keineswegs dezent aus »ihrem« Organ herausgehalten und die Ärzte machen lassen. Im Zug der
sog. Gesundheitsreformen
, namentlich der letzten, hat man die KVen wiederentdeckt, möglicherweise um sie in ihre letzte Schlacht zu führen und dann zu schlachten. In den Masterplänen des
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