Der verkaufte Patient
Verteilerdosen hin- und herschieben. Das wäre eine klassische Fehlschaltung. Erst recht nicht sollten sie Strom in erheblichem Umfang absorbieren, ihn ins Nichts ableiten und/oder für sich selbst verbrauchen.
Nun reibt man sich die Augen. Nach dem neuen Wettbewerbsstärkungsgesetz von 2007 (viele Abgeordnete wussten gar nicht, wie ihnen geschah: abends erhielten sie das Hunderte Seiten starke »Reform«-Konvolut, tags darauf durften sie darüber abstimmen; wer will das bis dahin gelesen, geschweige denn verstanden haben?) dürfen die GKV-Krankenkassen Urlaubszuschüsse gewähren. Sie müssen nur ein bisschen Wellness und zwei Skistöcke durch die Gegend tragen, vorher können Sie beim Pizzabäcker zum halben Preis speisen, danach sich beim Friseur ondulieren lassen – alles sponsert die »Gesundheitskasse« AOK. Kassen dürfen auch Urlaubsreisen als Provision für die Werbung neuer Mitglieder ausloben. Wer sich auf den Homepages der gesetzlichen Krankenkassen umtut, findet eine Fülle von Angeboten und Maßnahmen, mit denen man sich gegenseitig die Mitglieder abwirbt. Ein Heidengeld wird investiert, um die Jungen und Gesunden von Kasse A nach Kasse B zu locken. Es scheint fast, als sei es das primäre und wesentliche Ziel der ca. 220 Kassen, in diesem Konkurrenzkampf zu überleben. Die Aufmerksamkeit der Krankenkasse richtet sich mehr auf die Gesunden als auf die Kranken. So requiriert die AOK auch gleich das schöne Wort »Gesundheitskasse« für sich. Zur Abschreckung für die Kranken, oder? Dr. Wolfgang Hoppenthaller, der Chef des Bayerischen Hausärzteverbandes, steht nicht allein mit seiner Einschätzung: »Den Kassen ist die absolute Höhe des Beitragssatzes gleichgültig; wichtig ist für sie nur der Abstand zur Konkurrenz. Die Qualitätsdiskussion verkommt zur Alibidiskussion. Man sagt Qualität und meint Einsparung.Normale Versicherungsleistungen des Systems wie zum Beispiel die hausärztliche Versorgung wollen die Kassen zum Dumpingpreis haben, damit ihnen genügend Finanzmittel für ihre Lockangebote an ihre Zielklientel zur Verfügung steht. Die hausärztliche Versorgung ist eine Selbstverständlichkeit, mit der man keine Werbung betreiben kann.«
Mit anderen Worten: Die Verteilerdosen kämpfen, politisch angeordnet, mit allen Mitteln um den Strom, jagen ihn von Verteilerdose A nach Verteilerdose B und von B nach C und von C nach D. In diesem Krieg der Verteilerdosen verbrauchen sie jede Menge Strom. Schließlich scheint ihr primäres Ziel zu sein, ihre immer komplexere Selbsterhaltung zu gewährleisten und auszubauen. Ihre Durchlässigkeit für Energie lässt zu wünschen übrig. Sie rationieren den Strom. Bei Patienten kommt jedenfalls immer weniger Gesundheit an. Ärzten, Schwestern und Pflegekräften wird auf empörende Weise der Strom abgestellt.
Patienten gucken in die Röhre
Dass etwas nicht stimmen kann mit den Krankenkassen, merkt heute jeder Versicherte, wenn er ernsthaft krank wird, oder auch nur, wenn er beim Optiker sitzt und eine neue Brille braucht. Wer das Geschäft betritt, tut es ohnehin schon im Gefühl: »Das kostet … Von der Kasse wird es nicht viel geben.« Es könnte noch schlimmer kommen. »Bei welcher Kasse sind Sie?«, fragt der Optiker. »Bei der BKK.« – »Vergessen Sie’s! Pech gehabt. Aber ich könnte Ihnen eine ›Spezialbrille für Tätigkeit am PC‹ abrechnen, dann können Sie es wenigstens von der Steuer absetzen.« Analoge Erfahrungen macht man beim Zahnarzt, beim Kieferorthopäden, beim Hausarzt. Nahezu jeder Arztbesuch mit Maßnahmefolgen führt zu Telefonaten mit der jeweiligen Kasse: »Übernehmen Sie das? … Warum nicht? … Aber Sie haben doch …«
Was für normale Patienten ärgerlich ist, wird bei chronisch Kranken zum Skandal. Schwerstkranke müssen Anwälte einschalten, um ohne Zuzahlung an lebenswichtige Medikamente heranzukommen, während Gesunde auf Kassenkosten zur Wellness an die Adria fahren. Zu meinen Vorträgen kommen immer wieder kranke, oft sogar schwerkranke Menschen. Gestern reichte mir ein alter Mann einen Zettel: »Weitermachen! Bleiben Sie nur ja gesund! Bin sehr schwer herzkrank (3 OPs), kann nicht ans Mikro!« Viele kommen mit Gehhilfen oder sogar in Rollstühlen. In Friedberg meldete sich ein Mann im Rollstuhl, um vor Hunderten von Zuhörern seine unglaubliche Odyssee bekanntzumachen. Dem Mann fehlt ein Fuß ganz, der andere ist zur Hälfte amputiert, außerdem fehlt ihm ein Arm. Für seine spezielle Art der Behinderung
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