Der verkaufte Patient
»Haben Sie denn über andere Dinge gesprochen als über Ihre Krankheit?« antwortete sie sehr klar und deutlich: »Natürlich, ich hab ihr auch von unserem Schwiegersohn erzählt und den Enkeln. Dass meine Familie ganz in der Nähe wohnt und mit mir in ständigem Kontakt ist. Ich war nur ein bisschen beunruhigt, weil ich im Fernsehen immer wieder höre, dass man aufpassen muss, wenn man so einfach angerufen wird. Meine Tochter hat dann auch mit mir geschimpft. Aber ich habe ihr versichert, dass ich weder eine Zeitung noch einen Kochtopf bestellt habe. Und vor allem – es war ja immerhin meine Krankenkasse, die mich angerufen hat, die DAK!«
»Nein, meine Liebe«, wollte ich ihr zurufen, »es hat Sie angerufen der amerikanische Gesundheitsdienstleister Healthways, und zwar vom brandenburgischen Ort Henningsdorf aus. Und der hat Sie angerufen im Auftrag der DAK.« Ich ließes bleiben. Die alte Dame hat sich mir jedoch eingeprägt und ist zu einem Teil meiner Wut geworden.
Die Allianz der Gutfinder
Da waren sie alle versammelt, die in Sachen Callcenter zusammenhalten wie Pech und Schwefel: Wilfried Erbe (von der DAK), Axel Munte und Gabriel Schmidt (von der KVB), Michael Klein (von Healthways). Zusammengekommen waren sie, um die DAK-Initiative Anfang 2008 vor der Presse zu feiern. Dr. Gabriel Schmidt (KVB): »Der Gesetzgeber bietet den Krankenkassen nun einmal die Möglichkeit für solche Vorhaben. Deshalb bringen wir uns als Vertreter der Ärzte und Psychotherapeuten lieber von Anfang an mit ein, als am Ende vor vollendeten Tatsachen zu stehen.« Witzig – den Ärzten wird die Betreuung ihrer Patienten weggenommen, aber der Oberärztevertreter versteckt sich hinter dem breiten Rücken der Politik. Um von vorneherein den Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, legt Healthways-Chef Klein großen Wert auf die Feststellung, dass es keinesfalls darum gehe, Konkurrenz zu den Ärzten zu schaffen. Sein Unternehmen habe viel Erfahrung bei der Betreuung von chronisch erkrankten Menschen. Bei deren Beratung würden vor allem speziell geschulte Gesundheits- und Krankenpfleger eingesetzt. Das Unternehmen plane, in Nürnberg und München regionale Beiräte für einen partnerschaftlichen Dialog mit den Ärzten einzurichten. Ich kann nur sagen: Das Fell des Bären ist schon verteilt. Vorher hat niemand den »partnerschaftlichen Dialog« mit den Ärzten gesucht.
»Unser Ziel ist definitiv nicht, einer Amerikanisierung des deutschen Gesundheitswesens Vorschub zu leisten. Es geht vielmehr darum, Errungenschaften aus den USA sinnvoll hier in Deutschland zu nutzen«, erklärte Klein bei der Pressekonferenz. Ich sage dazu: Herr Klein leistet nicht Vorschub –sein Unternehmen ist ein reales Stück des Umbaus unseres Gesundheitswesens. Immer neue private Dienstleister tauchen auf, werden freundlichst hereingebeten, dürfen vom Kuchen essen, der von den Patienten dafür gewiss nicht bestimmt wurde – einem Kuchen, der eigentlich vom Gesetzgeber treuhänderisch geschützt werden müsste. Der aber ist (aus welchen Gründen auch immer) auf einem ganz anderen Dampfer unterwegs. Er ermöglicht gesetzgeberisch, das viele mitessen dürfen.
Munte nun, die Allzweckwaffe, lässt das Visier ganz herunter: »Man darf nicht mit ideologischen Scheuklappen an die Sache herangehen und alles verdammen, was aus den USA kommt. Wir sollten vielmehr gemeinsam versuchen, Auswege aus dem drohenden Dilemma zu finden, und dabei über den nationalen Tellerrand hinausblicken.« Da ist er wieder – der Mann von Welt, der für Offenheit und Pragmatismus plädiert, in Wahrheit aber einer der geheimen Nutznießer der anstehenden Privatisierung ist und deren häppchenweise Verwirklichung verharmlost, indem er eines der teuersten und schlechtesten Gesundheitssysteme der Welt – das amerikanische nämlich – gutheißt und Lösungen der Gesundheitskrise »über den nationalen Tellerrand« hinaus schönredet. Eines Tages ist alles privatisiert. Herr Munte gehört zu den Mitverdienern, aber wir Beitragszahler dürfen dann die staatlich verhökerte »Gesundheit« von privaten Haien kaufen, zu Preisen, von denen wir uns noch keine Vorstellung machen.
Eine Spur der Verwüstung
Ich kenne kein einziges börsenorientiertes Unternehmen (Healthways ist so eines), das aus karitativen Gründen investiert. Die Investoren kommen auch nicht, weil sie Mitleid haben, dass wir alle älter werden und Gesundheit nicht mehr bezahlbar sei. Sie kommen, weil sie wissen: Da
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