Der verkaufte Patient
Kante haben. Und was ist mit einer Herztransplantation? Haben Sie 30 000–40 000 Euro in der Portokasse? Kredit? Bürgschaft? Hypothek? Dasselbe gilt für eine Lebertransplantation: 35 000–45 000 Euro sollten Sie haben, wenn Sie saufen. Und wenn Sie der Krebs erwischt, kann das pro Jahr schon einmal 60 000 Euro an Medikamenten kosten. Die Arzneimittelpreise bei uns sind ein anderes Thema.
Stimmt das? Kann man tatsächlich in Amerika wegen einer Krankheit oder einer Operation sein Hab und Gut verlieren? Nicht vorstellbar? Dann sollten Sie sich eines Besseren belehren lassen.
Krank, alleingelassen, ruiniert
Weil er zu den 49 Millionen Unversicherten gehört, musste sich ein Patient in den USA nach einem Unfall entscheiden, welchen Finger er sich wieder annähen lassen wollte: Der Ringfinger kostete 12 000 $, der Mittelfinger 60 000 $ – beide konnte er sich nicht leisten. Wie mich diese abstruse Nachricht aus der amerikanischen Wirklichkeit ereilte? Das kam so:
Per Zufall sah ich an einem Sonntagabend im Herbst 2007 im Fernsehen Michael Moores neuen Film »Sicko«. Nun sollte man wissen: Ich bin Moore-Fan. Ich halte Moore für einen großen, einen radikalen Humanisten, für einen Unbestechlichen, einen gerechten Mann. Wenn Moore einen Film macht, dann liegt was im Argen. Ich musste diesen Film unbedingt in der Kinofassung sehen. Es dauerte einige Wochen, bis »Sicko«nach Ulm kam. Per Telefon reservierte ich Karten. Wäre nicht nötig gewesen. Außer meinem Mann und mir waren vier Personen bei der Vorführung. Das macht Freunde. Nach dem Film saßen wir sechs in unseren Kinosesseln und waren von den aneinandergereihten Ungeheuerlichkeiten wie betäubt.
Ein paar Tage später las ich unter www.spielfilm.de ein Interview mit Michael Moore. »Michael Moore über die maroden Zustände des amerikanischen Gesundheitssystems, sein Vorstoß gegen das US-Gesetz und warum er aufhört, Entscheidungsträger mit seinen Ergebnissen zu konfrontieren. Dieser Film ist ein Aufruf zum Handeln!« Ein Film als Rezept zum Handeln! Ja, der Film katapultierte mich aus dem Sessel! Nun bin ich ein konkreter Mensch. Ich muss sehen, was passiert. Michael Moore half mir entscheidend. Er fing den Horror einfach in authentischen Bildern ein; er zeigte, was das ist, wie sich das anfühlt und was es für Patienten bedeutet: Gewinnmaximierung als oberste, als einzige Prämisse.
Nein, Michael Moore und ich, wir kennen uns (noch) nicht. Auf jeden Fall war mir klar: Ich musste diesen Film bekanntmachen. Wieso floppte dieser Hammer? Meine Telefonate mit den Kinobesitzern brachten ein deprimierendes Resultat: »Abgesetzt, will keiner sehen! … Ladenhüter! Kassengift!« – Begriffe dieser Art fielen. Mich ärgerten diese Aussagen. Jeder Verblödungsfilm wird mit Werbekampagnen begleitet. Nur über »Sicko« lag das große Schweigen! Das sollte sich ändern. Ich machte Ärzte auf den Film aufmerksam: »Hingehen! Pflichtprogramm!« Die sagten es ihren Kollegen. Die wieder ihren Patienten – und langsam, langsam bekam »Sicko« ein Publikum. Wer immer aus meinem Bekanntenkreis diesen Film gesehen hatte, war geheilt von der Vorstellung, eine nachhaltige und konsequente Privatisierung des Gesundheitswesens sei der Befreiungsschlag, der Deutschland von seinen Problemen in der gesundheitlichen Versorgung erlösen könnte.
In einem Interview wurde Michael Moore die Frage gestellt:»Was wäre eine mögliche Lösung für die Misere?« Michael Moore: »Wir brauchen Politiker, die sich dafür einsetzen, dass das System vom Profitgedanken befreit wird. Versicherungsgesellschaften sind ja gesetzlich dazu verpflichtet, den Gewinn ihrer Aktionäre so gut wie möglich zu maximieren. Tun sie das nicht, bekommen ihre Verantwortlichen richtig Probleme. Allerdings sollte der Profitgedanke bei der Entscheidung keine Rolle spielen, ob einem kranken Menschen geholfen wird oder nicht. Maximalen Gewinn erzielt man nämlich erst dann, wenn man den Kranken so wenig Hilfe wie nur irgend möglich zugesteht. Ich finde das absolut unmoralisch und inkorrekt. Wir sind das letzte Land unter den westlichen Industrieländern, in denen noch solche Zustände herrschen. Wir müssen dringend etwas ändern.« Klare Positionsangabe. In Deutschland kann man das Gegenteil hören. Politiker reisen landauf, landab und verlautbaren: »Wir hier in Deutschland sind das letzte Land, das sich noch den nicht finanzierbaren Luxus eines nach dem Solidarprinzip finanzierten Gesundheitswesens
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