Der verkaufte Patient
Fachärzte in den Kliniken«, sagen die Gesundheitspolitiker in Irland. Mich würde auch interessieren: Wo fliehen eigentlich alljährlich mehrere tausend in Deutschland ausgebildete junge Ärztinnen und Ärzte hin, wenn sie den haarsträubenden Verhältnissen in ihrem Mutterland entfliehen wollen? Was ist anderswo so viel besser als bei uns? Lockt da nur das bessere Gehalt? Oder gibt es einfachvergleichbare Gesellschaften, die das mit der Gesundheit im Ganzen besser hinkriegen als wir?
Ich würde es nicht auf mir sitzenlassen, dass Deutschland (im Vergleich der OECD-Länder) das viertteuerste Gesundheitssystem der Welt hat, aber dafür im weltweiten Vergleich nur auf Platz 25 der »World Health Organisation’s Ranking – World Health Systems« landet, weit hinter Ländern wie Zypern, Kolumbien, Belgien, Singapur und San Marino. In aller Welt sind die Deutschen als Qualitätsfexe, Perfektionisten und Oberoptimierer bekannt. In der Automobilindustrie kommen die besten Marken der Welt aus Deutschland. Aber unser superteures, fettes Gesundheitssystem ist abgeschlagen, unter den Verlierern. Ich würde also sagen: Wenn wir schon so viel Geld in die Hand nehmen – mehr als 95 % aller Nationen in der Welt –, dann will ich auch die Nummer 1 sein. Nicht die Nummer 2. Nicht die Nummer 3. Und nie im Leben die blamable Nummer 25.
Nach Frankreich oder in die USA?
Wo würde ich also hinfahren, wenn ich in kürzester Zeit lernen wollte, wie man Gesundheit spitzenmäßig organisiert? Das herauszufinden ist keine Hexerei. Die Nummer 1 ist – hätten Sie’s gedacht? – Frankreich! An dieser Stelle ist nicht der Platz, um in der Länge und in der Breite das deutsche und das französische Gesundheitssystem miteinander zu vergleichen. Dass Ulla Schmidt, unsere Gesundheitsministerin, sich das französische Gesundheitssystem einmal näher angeschaut hat, ist mir nicht bekannt. Jedenfalls hat ihr Besuch, hätte er denn wirklich stattgefunden, keinerlei Niederschlag in ihrer Strategie gefunden.
Stattdessen fuhr sie – eine seltene Frucht von verinnerlichtem Benchmarking – in die USA, um in Sachen Gesundheit etwas zu lernen. Sie dachte sich wohl, von Amerika lernenheißt siegen lernen. Und in der Tat ist Amerika zumindest in
einer
Hinsicht das Maß aller Dinge: Amerika besitzt das mit weitem Abstand teuerste Gesundheitssystem der Welt (abgeschlagen folgen die Schweiz, Norwegen und Deutschland). Mit 15,3 % des Bruttoinlandsprodukts ist dieses US-System noch einmal um die Hälfte teurer als das deutsche (10,7 % BIP).
Was aber ist davon zu halten, dass dieses teuerste Gesundheitssystem der Welt nur auf Platz 37 der WHO-Liste rangiert? Selbst Chile hat sich auf Platz 33 plazieren können und die Vereinigten Staaten hinter sich gelassen – Chile, der Horror der Sozialpolitik, das Land, von dem Medico-International sagt: »Das Paradebeispiel für eine gezielte Zerstörung des öffentlichen, solidarischen Gesundheitssystems ist und bleibt Chile, das Laborland des flächendeckend angewendeten Neoliberalismus. In den 70er Jahren wurden unter der Diktatur Pinochets die Beiträge des Staates und der Arbeitgeber radikal gekürzt, der Wechsel zu Privatversicherungen massiv gefördert. Heutzutage müssen die Patient(innen) mehr als 80 % der Gesundheitsausgaben selbst tragen, 1974 waren es nur 19 %. Außerdem hat sich die Anzahl der Beschäftigten im öffentlichen Gesundheitssystem halbiert, ihre Reallöhne sind gefallen. 70 % der Bevölkerung können sich die Prämie der privaten Versicherungen nicht leisten.« (Quelle: www.medicointernational.de )
Was Ulla Schmidt in den USA lernte
Warum fuhr unsere Gesundheitsministerin ausgerechnet in die USA, um »Gesundheit« zu lernen? Es wird wohl ewig ihr kleines Geheimnis bleiben. Im Sommer 2006 tourte sie durch die Staaten, war mehrheitlich entzückt und brachte allerhand Beherzigenswertes mit nach Hause: »Besonders beeindruckt hat mich das, was in den USA unter dem Begriff ›ManagedCare‹ (Chronikerprogramme) diskutiert wird. Speziell in der Chronikerversorgung haben wir sehr sorgfältig geprüft, was wir aus dem amerikanischen Gesundheitswesen übernehmen können. Mittlerweile haben wir die amerikanischen Ansätze modifiziert und solche Chronikerprogramme (Disease-Management-Programme) zu einem echten Erfolgsfaktor in Deutschland weiterentwickelt.« Care Manager, Case Manager, DMP – lauter Volltreffer. Ärzten und Patienten dreht sich der Magen um. Die halbe Nation sinnt, wie wir
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