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Der verkaufte Patient

Titel: Der verkaufte Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Hartwig
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diesen millionenteuren Schwachsinn wieder loswerden.
    Es kam jedoch anlässlich eines erneuten Besuchs im Sommer 2007 auch zu Schlüsselszenen der Völkerverständigung, wie die »Welt« vom 23. 7. 2007 aufmerksam notierte: »Ulla Schmidt legt ihre Gabel hin und schaut vom Schokoladenkuchen auf. Die Gesundheitsministerin will gerade einen Bissen von ihrem Dessert nehmen, da sagt ihr Tischnachbar etwas Überraschendes: ›Frau Ministerin‹, sagt Francis Crosson, Chef der US-Gesundheitsorganisation Permanente, ›Sie sind stark und mutig. Ihre Reformen sind richtig, machen Sie weiter.‹ Schmidt lacht. Und weist Mister Crosson auf ein entscheidendes Detail hin: ›Leider weiß das niemand in Deutschland.‹« Womit wir wieder bei »Sicko« wären. Die Herren von der Permanente mochte Michael Moore überhaupt nicht. Und dazu muss man eine Geschichte erzählen.
From Watergate to Kaisergate
     
    Das amerikanische Gesundheitssystem war nämlich nicht immer so schlecht, wie es Ulla Schmidt nicht gesehen hat. Der Ort seiner Zerstörung lässt sich relativ exakt markieren, selbst die Zeit ist rekonstruierbar: Das Ganze spielte sich im Februar 1971 im Oval-Office des amerikanischen Präsidenten Richard Nixon ab. Nixon erhielt Rat von Edgar Kaiser, dem Inhaber von Kaiser Permanente. Die Organisation betrieb indenVereinigten Staaten die erste Klinik »to run for profit«. Nixon hatte mit dem Vietnamkrieg, der zu dieser Zeit gerade mit verheerenden Flächenbombardements in eine entscheidende Phase getrieben werden sollte, jede Menge Probleme, die sich auch in der Staatskasse niederschlugen. Edgar Kaiser nun machte dem Präsidenten einen genialen Sparvorschlag, den Vorschlag zur
Privatisierung des Gesundheitswesens
.
    Noch heute kann man bei Wikisource das Transkript einer darauffolgenden Unterhaltung zwischen dem damaligen Präsidentenberater Ehrlichman und Richard Nixon nachlesen. Erst beklagt sich Ehrlichman, er habe dem Vizepräsidenten auf 15 verschiedene Arten »Edgar Kaiser’s Permanente thing« zu erklären versucht. Aber der kapiere das nicht: »He finally says: ›Well, I don’t think they’ll work, but if the President thinks it’s a good idea, I’ll support him a hundred percent.‹« Nixon wirkt unkonzentriert, will die Sache, von der er offenkundig nicht die geringste Ahnung hat, im Sinn Kaisers über die Bühne bringen. Ehrlichman wagt einen letzten Einwand: »The less care they give them, the more money they make.« Richard Nixons Antwort ist einer der Gründe, warum er
auch
nicht in die Geschichtsbücher einging. Sie lautete: »Fine.«
    Ab diesem Punkt wurde das amerikanische Gesundheitssystem das, was es heute ist: die unsozialste und teuerste Spielwiese für die internationale Gesundheitsindustrie. Zwar trägt »Kaiser Permanente« wie eine Fahne voraus, man sei ein »Nonprofit«-Unternehmen. Glaubhaft ist es nicht. Schon 1971 wollte Edgar Kaiser, wie Ohrenzeugen berichten, nur eines: Gewinn, Gewinn, Gewinn! Wenn noch im Juli 2007 in den Unterlagen des Gesundheitsministeriums zu lesen ist, dass es sich bei Kaiser Permanente um ein Nonprofit-Unternehmen handle, zeigt das nur, was unsere Gesundheitsministerin sonst noch
nicht
gesehen hat, kam sie doch zu dem generellen Schluss: »In vielen Bereichen werden die Patienten bei Kaiser mit exzellenter Qualität versorgt. Wenn die Behandlungsverläufe abgestimmt sind und der eine Arzt weiß, wasder andere tut
(Memo für E-Card-Ignoranten wie mich, d. Aut
.), steigt nicht nur die Qualität der Versorgung. Das Geld wird auch sinnvoller eingesetzt. Obwohl wir in Deutschland bereits auf einem guten Weg sind, ist unser System an vielen Stellen noch zu fragmentiert.
(Memo für Integrierte-Versorgungs-Ignoranten, d. Aut
.). Das wollen wir ändern.
(… Indem wir die freien, niedergelassenen Ärzte über die Klinge springen lassen? D. Aut.)«
. Was alles der liebe Gott und der entschlossene Wählerwille verhindern möge. Doch wir haben Grund, einmal genauer nach Amerika zu sehen.
Amerika, du hast es besser?
     
    Vergeblich suche ich bei Ulla Schmidt einen Hinweis darauf, warum in den USA 47–50 Millionen Menschen nicht versichert sind. Bei einer Gesundheitsministerin, die nach sicherer Quellenlage nicht der Partei der Besserverdienenden angehört, ist das verwunderlich. Zum Vergleich: In Deutschland sind gerade einmal 0,1 bis 0,3 % der Menschen nicht krankenversichert.
    Kaiser Permanente hat einen Jahresumsatz von 34,4 Milliarden US-Dollar; über 8,5 Millionen

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