Der verkaufte Tod
Anfang. Was kann man im Körper noch entbehren und doch weiterleben? Ein Arzt muß das wissen, also fragen wir einen Arzt.
Nach einer halben Stunde stand Tawan wieder auf der Straße und ging stolz an der Menschenschlange entlang.
Einer der Wartenden winkte Tawan zu. »Was haben sie da drin mit dir gemacht?« rief er.
»Blut abgenommen, mit so einem komischen Gerät – sie nennen es Ultraschall – in den Körper geblickt, in ein Glas mußt du pinkeln, und dann sehen sie, ob du gesund bist.«
»In der Pisse sehen sie das?«
»Ja.«
»Hau ab, du Idiot!« Das Gesicht des Mannes wurde dunkel vor Zorn. »Macht sich lächerlich über uns! Freunde, wir sollten ihn verprügeln!«
Tawan machte, daß er schnell wegkam von den Wartenden, schaute beim Rückweg zu seinem Schutzdach in die Fenster einiger Anzuggeschäfte und suchte sich im Geiste schon zwei schöne Anzüge aus. Den Vertrag hatte er unterschrieben, seine Niere war verkauft, der Termin war Donnerstag nächster Woche, an dem man sie ihm herausschneiden wollte, ein Dr. Ratja Banda würde ihn operieren, in einer eigenen Klinik in der Belvedere Road, gegenüber dem Park von Alipur. Tawan sah das als ein gutes Zeichen an – er hieß ja wie der Park, Tawan Alipur, es konnte nichts schief gehen.
Am Abend saßen Tawan und die kleine Vinja unter dem Holzdach, eine Petroleumlampe stank und verbreitete ein dumpfes Licht, sie aßen aus Blechschüsseln eine Bohnensuppe, denn Tawan konnte sich jetzt eine Konservendose leisten: Chandra Kashi hatte ihm einen Anzahlung von hundert Rupien mitgegeben.
»Bald wirst du in einem richtigen Bett liegen, Vinja«, sagte er. »In einem richtigen Zimmer, mit Mauern drumherum und einem Fenster, das man auf- und zumachen kann. Und wir werden von Porzellantellern essen und jeden Tag Fleisch und Gemüse haben.«
Vinja hörte still zu, aber dann sagte sie plötzlich: »Erzählst du ein neues Märchen, Onkel Tawan?«
»Ja, es ist fast wie ein Märchen.« Er legte den Arm um die schmale Schulter des Kindes. »Wir werden nie mehr arm sein, wenn ich klug mit meinem Körper bin.«
Es war ein Satz, den Vinja nicht verstand.
Die Privatklinik von Dr. Ratja Banda war ein prunkvoller, mit Eingangssäulen verzierter, weiß gestrichener Bau im Kolonialstil der Jahrhundertwende, als die Engländer das Mündungsgebiet des Ganges zum zweitgrößten Hafen Indiens ausgebaut hatten und Kalkutta eine blühende Stadt war.
In Medizinerkreisen besaß Dr. Banda den besten Ruf, galt als ein blendender Chirurg, war Mitglied des exklusiven East Bengal Golf Club und Ehrenmitglied des Poloclubs, seine Partys waren berühmt wegen der geradezu unverschämten Vielfalt schöner Frauen und der phantasievollen Buffets. Er kannte alle wichtigen Leute der Stadt, vom obersten Staatsanwalt und Richter bis zum Bürgermeister und den Stadtdeputierten, vor allem aber die reichen Fabrikanten und Handelsherren, deren Einfluß bis nach Delhi reichte und die mehr Macht besaßen und auch ausübten als alle Behörden von Kalkutta.
In der Klinik Dr. Bandas ein Bett zu bekommen war schon eine besondere Auszeichnung; von ihm selbst operiert zu werden war wie ein Ritterschlag. Eine Operationsnarbe von Dr. Bandas Hand war einem Kunstwerk ähnlich, und da er alles operierte, vom simplen Blinddarm bis zur Totalexstirpation des Uterus mit den Ovarien, hatten zwei Drittel der hohen Gesellschaft schon auf seinem OP-Tisch gelegen.
Sogar aus dem Ausland reiste man in Kalkutta an, vor allem aus den USA, wo der Name Ratja Banda als Geheimtip gehandelt wurde. Vor allem die chronisch Nierenkranken, die nur überleben können, wenn sie alle zwei Tage an ein Dialysegerät angeschlossen werden, das ihr Blut entgiftet, hoffen auf eine Nierentransplantation, auf eine Spenderniere, die ihr Leben rettet und wieder lebenswert macht.
Bei diesen Kranken auf der langen Warteliste ist die Klinik Dr. Bandas ein Paradies der Wiedergeburt, vorausgesetzt, man kann es sich leisten, nach Kalkutta zu fliegen und Dr. Banda zu bezahlen.
Edward Burten saß in seinem Büro und blätterte in dem Wochenbericht seiner Firmen. Der große Raum lag im obersten Stockwerk seines imposanten, fast futuristisch gebauten Hochhauses in Manhattan und glich einer gläsernen Kanzel. Sie war wie ein in der Sonne glitzernder, leuchtender Hut, der das schlanke Gehäuse aus Beton, Glas und Marmor beschützte.
In diesen Teil des Hauses gelangte man nur mit einem Speziallift, der im 26. Stockwerk begann und zu dem nur ein paar
Weitere Kostenlose Bücher