Der verkaufte Tod
das Medaillon in der Mitte des Teppichs sehen konnte. Er hob den Kopf, legte ein Buch beiseite und stand von seinem Rattansessel auf.
Tawan nahm den Strohhut ab. »Sie sind der Lehrer Dasnagar?« fragte er.
»Wenn meine Frau Sie zu mir führt, muß ich es sein. Womit kann ich dienen, Sir?«
»Ich bin Tawan Alipur.«
Schweigen. Dasnagar schien auf weitere Erklärungen zu warten, ein Name sagte ihm gar nichts.
»Ich bin der Onkel von Vinja«, fuhr Tawan etwas irritiert fort.
»Eine Schülerin unserer Schule?«
»Sie haben Vinja großzügig aufgenommen, obwohl sie schon acht Jahre alt ist. Ich möchte Ihnen danken.«
»Ich kann mich nicht erinnern.« Der Lehrer kratzte sich an der rechten Backe. »Vinja? Ich weiß im Moment wirklich nicht –«
»Das Mädchen mit den verkrüppelten linken Fuß.«
»Ach die? Frau Bangaon hat sie mir gebracht. Jetzt weiß ich es.« Dasnagar wies auf einen der Sessel, die an der Wand standen. »Bitte, setzen Sie sich, Mr. Alipur. Warum wollen Sie mir danken? Es war doch selbstverständlich, einem lernwilligen Menschen einen Schulplatz zu geben.«
»Das macht mir Mut.« Tawan atmete tief auf. »Geben Sie auch Privatunterricht?«
»Sie meinen: hier im Haus?«
»Ja. Unterricht für Erwachsene.«
»Nein.«
»Aber wenn nun ein Erwachsener käme und zu Ihnen sagte: ›Lehrer Dasnagar, ich möchte lesen, schreiben und rechnen lernen, so schnell wie möglich. Was es kostet, ist keine Frage‹, was würden Sie dann antworten?«
»Ich weiß nicht«, sagte Dasnagar zögernd.
»Natürlich würde er sagen: ›Kommen Sie! Wenn Sie mir für die Stunde eine gute Summe zahlen, bin ich bereit‹«, warf Frau Dasnagar schnell ein.
Tawan lächelte und legte ein Bündel Geldscheine auf den Tisch, der auch an der Wand stand. »Ihre Frau ist geschäftstüchtiger als Sie, Lehrer Dasnagar. Hier liegt eine schöne Summe.«
»Und wer will lernen? Für wen sprechen Sie, Sir?«
»Für mich. Ich will lernen.«
»Sie?« Dasnagar musterte den Besucher und schüttelte den Kopf. »Ich nehme an, ich kann von Ihnen lernen.«
»Bestimmt. Aber es ist eine Kunst, die nicht zu Ihnen paßt.« Tawan straffte sich im Sitzen. »Herr Dasnagar, ich bitte Sie darum, mein Lehrer zu sein.«
Dasnagar zögerte noch immer, obwohl seine Frau ihm von der Tür aus ermunternd zuwinkte. »Ich begreife das nicht, Mr. –«
»Alipur.«
»Ja. Sie haben doch im Leben schon allerhand geleistet –«
»Ich bin dabei.«
»Sie haben viel Geld, Ihr Aussehen beweist Ihren Erfolg –«
»Aber ich kann nicht lesen und schreiben.« Tawan wischte sich über das Gesicht. Es war besser, die Wahrheit zu sagen, als den reichen Mann zu spielen. »Ich hatte nicht das Glück, Eltern zu haben, die uns Kinder satt werden ließen. Wir haben oft aus der Mülltonne gelebt.«
»Sie stammen aus den Slums, stimmt's?«
»Ja.«
»Und was sind Sie jetzt?«
»Ich habe ein Unternehmen gegründet.« Tawan griff in die Kiste, in der er alle Antworten auf solche Fragen gesammelt hatte. »Noch klein, aber es macht Gewinn. Ich wechsle Geld.«
»Ohne rechnen zu können?« fragte Dasnagar mißtrauisch.
»Ich erkenne an der Farbe der Geldscheine, wieviel sie wert sind. Es war mühsam, das zu lernen. Am besten komme ich mit Dollars zurecht.«
Dasnagar schüttelte wieder den Kopf. »Eine besondere Begabung. Ohne Zahlen zu kennen, macht man ein Wechselgeschäft auf.« Er musterte Tawan noch einmal von oben bis unten und nickte dann mehrmals. »Sie könnten ein guter Schüler werden, Mr. Alipur.«
»Darum bin ich zu Ihnen gekommen. Ich will in kurzer Zeit nachholen, was ich die ganzen Jahre versäumt habe. Ist das möglich?«
»Das liegt an Ihnen.« Dasnagar beugte sich vor, raffte das Geldbündel vom Tisch und steckte es in seine Hosentasche.
Seine Frau atmete auf – ein Lehrer in Indien gehört zu der Schicht, die nicht darbt, aber immer am Rande der Armut balanciert. »Trinken Sie eine Tasse Tee, Sir?« fragte die Frau.
»Das würde mich freuen«, antwortete Tawan höflich.
»Sofort, Sir.«
Nun da sie allein waren, beugte sich Dasnagar wieder vor, und seine dicken Brillengläser funkelten. Er war seit dreißig Jahren Lehrer in Kalkutta, er kannte die Menschen und las in ihren Gesichtern, Bewegungen und Gesten wie in einem Buch. »Wann können wir anfangen, Mr. Alipur?« fragte er.
»Übermorgen. Am besten abends.«
»Wissen Sie, wieviel Rupien Sie mir eben gegeben haben?«
»Was Sie sich genommen haben.«
»Sagen Sie die Summe.«
»Ich weiß
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