Der verkaufte Tod
ehrlicher Geschäftsmann, er kauft und verkauft. Er ist kein Menschenjäger.«
Dr. Kasba schwieg. Ich habe genug gesagt, dachte er. Tawan ist gewarnt. Ich weiß, was ich weiß, und das ist arg genug. Eine Mitwisserschaft ist eine Mittäterschaft; wenn ich daran denke, hilft nur die Flucht in den Suff. Warum saufe ich denn, Dr. Banda? Weil es mir so gut schmeckt? Ich hasse den Alkohol, aber immer, wenn ich im OP stehe und ein Herz wird transplantiert oder eine Leber oder eine Augenlinse, frage ich mich: Ist der Spender wirklich durch einen Unfall gestorben, oder hat man seinem Tod nachgeholfen? Und dann muß ich saufen, saufen bis zur Bewußtlosigkeit, um zu vergessen, was ich denke. »Was hast du weiter vor, Tawan?« fragte er, um von diesem Thema abzulenken.
»Ich werde wahrscheinlich ein Taschendieb bleiben. Es ist ein müheloser Verdienst und mehr, als man mit einem Geschäft verdienen kann. Wenn ich genug Geld zusammen habe – wer weiß, was ich dann tue? Mir geht es nur darum, daß Vinjas Leben ein schönes Leben wird.«
»Ich wünsche dir viel Glück, Tawan.« Dr. Kasba klopfte ihm auf die Schulter und brachte ihn sogar vor die Tür. »Und paß auf dich auf.«
»Ich werde Sie wieder besuchen, Doktor.« Tawan war glücklich, in Dr. Kasba einen Freund gefunden zu haben. »Ich werde Ihnen alles erzählen, was ich getan habe oder tun werde.«
Wir Kinder aus den Slums, dachte er, als er mit dem Lift in die große Eingangshalle fuhr. Woher wir kamen, werden wir nie vergessen, auch wenn du ein Arzt bist und ich vielleicht in ein paar Jahren ein Millionär.
Tawan hatte Glück. Vor der Klinik hielt ein Taxi, eine junge, schöne Frau stieg aus, eine Brahmanin; auf ihrer Stirn glänzte hennafarben der Punkt, wie ihn die stolzen Inderinnen tragen. Sie warf einen schnellen Blick auf den eleganten Herrn im weißen Seidenanzug, ein Blick, der Tawan wie ein heißer Strahl durchdrang. Er blieb stehen, starrte ihr nach, als sie die Klinik betrat, und nahm sich vor, Dr. Kasba noch morgen zu fragen, wer die schöne Dame sei.
»Wohin, Sir?« fragte der Taxifahrer, als Tawan in den Wagen gestiegen war.
Ja, wohin? Tawan hatte kein Ziel, aber plötzlich fiel ihm ein, daß er den Lehrer Dupar Dasnagar sprechen wollte, der Vinja in die Schule aufgenommen hatte und ein guter Mensch sein sollte. So hatte es Sangra geschildert. »Zur Masjid Bari Street«, sagte er. »Nummer 23.«
Er lehnte sich in die Polster zurück und dachte über das nach, was Dr. Kasba ihm gesagt hatte. Man jagte Menschen, Erwachsene und Kinder, um ihre gesunden Organe auf andere Menschen verpflanzen zu können. Paß auf dich auf, Tawan, hatte er gesagt. War das eine Warnung? Vor wem hat er mich gewarnt? Er kann damit unmöglich Kashi gemeint haben. Kashi tut so etwas nicht. Er bezahlt, aber er raubt nicht. Und außerdem weiß niemand, mit Ausnahme von Dakhin, daß ich jetzt im Hotel Bambusgarten wohne.
Er schloß die Augen und mußte ein paar Minuten geschlafen haben, denn die Stimme des Chauffeurs weckte ihn.
»Wir sind da, Sir.«
Tawan zahlte und stieg aus. Wieder ein Schritt in ein neues Leben, dachte er. Ich werde schreiben, lesen und rechnen lernen. Dann steht mir nichts mehr im Weg.
Der Lehrer Dupar Dasnagar war ein Mann von kleiner Statur, im mittleren Alter, trug auf der Nase eine randlose Brille mit dicken Gläsern, lebte in einer Dreizimmerwohnung, was in Kalkutta ein ungeheurer Luxus war, und hatte eine rundliche Frau. Sie öffnete auf Tawans Klingeln; sie trug den landesüblichen bunten Sari.
»Ist der Lehrer Dasnagar zu sprechen?« fragte Tawan höflich.
Die Frau musterte den feinen Herrn; sie konnte sich nicht erklären, was ein reicher Mann bei einem armen Lehrer zu suchen hatte. »Was wollen Sie von ihm?« fragte sie ausweichend zurück.
»Ich will ihn sprechen. Es ist wichtig, sonst wäre ich nicht hier.«
Die Frau gab die Tür frei und zeigte ins Innere der Wohnung. »Treten Sie ein.« Dann rief sie mit etwas schriller Stimme: »Dupar! Dupar! Da ist ein Herr gekommen, der dich sprechen will!« Und als keine Antwort erfolgte, zuckte sie resignierend mit den Schultern. »Er studiert wieder in seinen französischen Büchern. Da hört und sieht er nichts mehr.« Sie brachte Tawan zur Tür des Wohnzimmers, stieß sie auf und ließ ihn eintreten.
Das Zimmer war mit Rattanmöbeln ausgestattet, ein Teppich, der fast den ganzen Boden bedeckte, schien Dasnagars ganzer Stolz zu sein. Er hatte alle Möbel an die Wände gerückt, damit jeder
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