Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Taubergrundstück aus weit über den Abgrund hinausblicken; und wenn im Abendrot die Gipfel der Akhanaith endh Anth-i-dheriltené geheimnisvoll im Osten leuchteten,dann spukten die verrücktesten Gedanken in den Tauberköpfen herum. Finn hatte selbst im Kreis seiner älteren Vettern dicht am Sturz beim abendlichen Feuer gesessen und ihren Reden gelauscht. Jedenfalls wurde unter dem Tauberdach zweifellos öfter von den östlichen Landen gesprochen als anderswo, und es wurden Mutmaßungen darüber angestellt ( gesponnen , nannten es die Durchreisenden), was denn wohl in Arelian, Vindland oder Revinore dieser Tage geschehen möge, ohne dass die Vahits jemals davon Kenntnis erhalten würden.
    Eine halbe Meile vor dem Dorf verwandelte sich die östliche Gaustraße in eine Allee aus zappelnden Silberpappeln, deren Blätter im Wind einen verwirrenden, grünweißen Tanz aufführten, der in der grauen Farblosigkeit dieses Herbsttages beinahe in den Augen schmerzte. Unter den ersten Bäumen hielt Bholobhorg sein Reittier an und wartete auf die Nachzügler.
    »Da vorn liegt es also   – Aarienheim«, sagte der Tanninger. »Mehr als dreißig Meilen seit dem Frühstück. Keine geringe Strecke, würd’ ich sagen, und die Ponys sind zu Recht ermattet. Ich bin noch nie hier gewesen. Wo liegt das Wirtshaus?«
    »Es gibt keines«, erwiderte Finn. »Kein richtiges, meine ich. Aber meine Verwandten vermieten die Kammern des alten Brochs, den du da vorn hinter den Wipfeln siehst. Und ihr Stall ist groß genug für reichlichen Familienbesuch.«
    »Aha«, machte der dicke Landhüter. »Na schön, von mir aus.Bis Sturzbach sind es noch einmal über zwanzig Meilen. Wenn wir morgen früh zeitig aufbrechen, können wir gegen Mittag dort sein.«
    »Wenn wir stattdessen weiterreiten, könnten wir noch heute Abend in Sturzbach eintreffen«, sagte Circendil. »Erwähntest du nicht, du habest eine dringende Botschaft auszurichten?«
    »Nein, das sagte ich nicht. Ich sprach weder von dringend noch von Botschaft , Herr Mönch. Ich habe einen Auftrag für Herrn Gesslo auszuführen, das stimmt, aber er hat mir nicht befohlen, dabei mein Pony zu Tode zu reiten.«
    »Ich glaube es selbst kaum, dass ich das sage«, meinte Mellow, »aber Bhobho hat Recht. Unsere Ponys brauchen eine längere Rast. Und meine Sitzbacken auch, fürchte ich. Ich bin in den letzten Tagen mehr geritten als im ganzen Jahr davor. Ich sehne mich nach einem Sessel mit einem weichen Kissen darin, wenn du mich verstehst.«
    Circendil beugte sich vor und tätschelte Gwaeth. »Oh, ich verstehe dich sehr gut. Aber ich für mein Teil befürchte, dass deine Sitzbacken noch auf ihr Kissen werden warten müssen. Oder du bleibst hier und kommst morgen nach. Ich werde auf jeden Fall weiterreiten.«
    »Auch Gwaeth ist müde«, sagte Mellow mit leichtem Vorwurf in der Stimme. »Und er hat, obwohl er der Stärkste ist, am meisten von allen zu tragen, falls du das vergessen hast.«
    »Sehe ich so aus, als ob ich etwas vergesse? Oder als ob ich absichtlich ein Tier quäle? Mellow Rohrsang, du solltest mich inzwischen besser kennen. Natürlich werde ich ein anderes Pony nehmen. Hier gibt es doch einen Postlerstall, oder etwa nicht? Also mache deinen Einfluss geltend, Herr Helvogt, und veranlasse, dass man mir ein anderes Tier überlässt. Oder besser deren zwei, wenn du doch mitkommen willst. Ich suche derweil nach einem Kissen, wenn dir dann wohler ist. Bei allen Winden, die Aman schickt!«, murmelte er, während er Gwaeth erneut in Schritt versetzte. »Ein Kissen für seine Sitzbacken! Wenn wirwollen, dass der Herr von Ulúrlim lachend von seinem Thron kippt, sind wir auf dem besten Wege dazu. Vielleicht sollten wir Saisárasar bitten, uns eines mit Criargdaunen zu füllen und vorbeizubringen. Und Guan Lu am besten gleich mit dazu, damit er ein behagliches Feuerchen entfacht. Ich fasse es nicht!«
    Er murmelte noch unwillig in seinen Bart, aber mehr hörten sie nicht, denn der rauschende Wind fuhr erneut in die Silberpappeln und riss alle Worte mit sich fort.
    Sie beeilten sich, dem Davenamedhir zu folgen. So erreichten sie bald die Hecke mit ihrem Durchlass, ritten am gewaltigen Rund des Brochs vorbei und sahen dahinter zu ihrer Linken das Haus und die Stallungen des Tauberhauses auftauchen.
    Plötzlich fiel allen auf, wie ruhig es war, und wie auf ein geheimes Zeichen hielten sie ruckartig an.
    »Hört ihr das?« Bholobhorg drehte sich befremdet mehrfach im Sattel nach allen Seiten. »Oder