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Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Brief: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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um ihre Beine. Das Blatt hielt er immer noch stolz zwischen den Zähnen. Blinzelnd, beinahe verschwörerisch sah er zu Finn hinauf, als wolle er fragen: Für wie dumm hältst du mich eigentlich?
    »Du solltest ihn an eine Leine legen, solange du hier bist«, empfahl Circendil. »Auch wenn es ihm vermutlich nicht gefallen wird. Aber dieser Ort ist gefährlich für ihn   – und alle anderen.«
    »Ich verspreche es.« Finn stieß den angehaltenen Atem erleichtert wieder aus. »Sobald ich eine finde, heißt das.«
    »Ich verstehe ohnehin nicht, wie ihr Vahits auf den Einfall kommt, Häuser so dicht an diesem Abgrund zu errichten. Die Menschen meines Landes täten nichts dergleichen.«
    »Erzähltest du nicht, dass viele deines Volkes an den Gestaden des östlichen Meeres wohnen?«, gab Finn zurück. »Ist das Meer nicht wütend bei jedem Sturm? Schlägt es nicht in hohen Wogen ans Land? Wie kann man da in seiner unmittelbaren Nähe Häuser errichten? Die Vahits des Hüggellandes täten nichts dergleichen.«
    Circendil lachte leise. »Vermutlich, weil sie kein Meer vor der Haustür haben.«
    »Ja. So wie ihr keinen Sturz.«
    »Das wird es wohl sein. Ich gebe mich geschlagen. Was machen wir jetzt?«
    »Lasst uns zu den anderen Häusern gehen«, schlug Mellow vor. »Irgendjemand muss einfach da sein. Das ganze Dorf kann doch nicht   …« Er sprach nicht aus, was er dachte.
    Circendil beugte sich zu Inku herab und nahm ihn auf den Arm.
    »Gehen wir und sehen nach«, sagte er.
    Sie umrundeten das Haus zur Gänze und gelangten zwischen ihm und dem Broch wieder auf die Straße. Wie angewurzelt blieben sie stehen, als sie um die letzte Ecke bogen und sie sich ihren zurückgelassenen Ponys gegenübersahen. Aber es waren nicht die Tiere, über deren Anblick sie fast erschraken, sondern es war die plötzliche Anwesenheit der fünf Vahits, die bei ihnen standen und von denen vier sich soeben anschickten, sich der ledigen Zügel zu bemächtigen.
    Alle fünf hatten die bekannten roten Hüte mit der eingestickten Sonnenblume auf dem Kopf. Der älteste der Vahits trug ein zusätzliches, langes gelbes Band an dem seinigen.
    »Seid gegrüßt«, rief da Bholobhorg erleichtert und senkte seinen Stab. »Also ist Aarienheim doch noch nicht gänzlich ausgestorben.«
    Die fünf Landhüter fuhren ihrerseits erschrocken herum.
    Ihre Gesichter blickten unfreundlich.
    Ihre Stäbe richteten sich auf Bholobhorg, der freudig nähertrat. »Was ist denn?«, fragte er verwundert, als ihn die Spitzen vor seinem Bauch zum Halten brachten.
    Der mit dem Band am Hut musterte ihn streng.
    »Nennst du das eine vorschriftsmäßige Meldung, Hüter? Wer bist du, und was tust du hier? Deiner Sprechweise nach stammst du aus dem Untergau. Wir hier im Tiefengau dulden keinen Schlendrian, damit du es nur weißt! Also, ich höre!« Mit jedem Wort unter den gestrengen Augen straffte sich Bholobhorgs Gestalt. Seltsamerweise wirkte das bei ihm so, als würde er dabei schrumpfen.
    Der Sprecher, der seinem Hut nach der hiesige Gauvogt sein musste, tat, als wären die anderen nicht vorhanden. Er bedachte weder Finn und Mellow, die langsam näher kamen, auch nur eines Blicks, noch Circendil, der sich bewusst zurückhielt, um die fremden Vahits nicht zu erschrecken. Der Gauvogt heftete seine stechenden schwarzen Augen allein und unverwandt in das Antlitz des vor ihm Stehenden.
    »Ich bin   … entschuldige   … Ich meine, Landhüter Bholobhorg Feldschwirl meldet sich zur Stelle«, brachte der dicke Tanninger heraus. »Zu   … ähm   … des Herrn Gauvogts Diensten.«
    »Und?« Der hagere Gauvogt machte eine ungeduldige Handbewegung. In seinem Gesicht entwickelte eine wahre Raubvogelnase ein reges Eigenleben. Sie zuckte umher wie ein gekrümmter Schnabel, der es nicht abwarten konnte, bei der nächsten Gelegenheit zuzuschlagen.
    »Zu   … zur Zeit in den Obergau abgestellt.« Winzige Schweißperlen zeigten sich auf Bholobhorgs Stirn.
    »Und?«
    »Gauvogt   … Gesslo Regenpfeifer hat mich in den Untergau entsandt. Äh, mit deiner Erlaubnis. Mit einem Brief für die Sturzbacher Vogtey.«
    »So so«, kam es unter der gekrümmten Nase hervor. Er streckte die Hand aus. »Gib mir diesen Brief.«
    »Aber, Herr, das darf ich nicht«, entfuhr es Bholobhorg, und jetzt schwitzte er wirklich. »Ich meine, er ist für Herrn Wenan Weihe bestimmt.« Das war, soweit sich Finn erinnerte, der Name des Untergauer Vogts.
    »Du sagst, es ist ein Amtsbrief. Ich vertrete hier das Amt.

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