Der verlorene Brief: Roman (German Edition)
benutzt eine Sinyanhwe und hat so das Vertrauen der Königin gewonnen. Sie hat das Ding wahrscheinlich von Tulsin erhalten, und der bekam es von Saisárasar. Jedenfalls verstehe ich diese Stelle so. Könnte nicht auch Tulsin unter dem Einfluss einer Sinyanhwe stehen? Ich meine, ohne dass er davon weiß?«
Der Davenmönch nickte. »Dieses Netz ist feiner gesponnen, als es sich selbst Tulsin vorzustellen vermag. Und ich meine nicht das, welches er eigenhändig zu spinnen versteht: jenes des Rings der Dornen .«
» Bei Yamuns Wirren!« , rief er sogleich darauf aus.»Was für ein Brief! Was für ein Fund! Welch eine unfassbare Fügung uns Aman hiermit gewährt! Und welch ein Verlust für den Feind! Niemals hätten wir hiervon Kenntnis erhalten dürfen! Saisárasar wird toben, wenn er davon erfährt, dass der Brief verlorenging.«
Abermals ließ Circendil das Pergament sinken.
Tief und langsam holte er Luft, wie ein Läufer, der eine lange Strecke vor sich sieht. »Da habt ihr den Beweis, meine Freunde. Wir stehen wirklich am Vorabend eines gewaltigen Krieges, und was ihr hierzulande erlebt, ist nur ein Vorgeplänkel der eigentlichen Auseinandersetzungen. Noch sind es zweieinhalb Monate bis Alvain. Zeit genug, um die Schwächen Kolryns und seinerBewohner auszukundschaften. Und das ist es, was Saisárasar unternimmt. Vom hohen Horst des Hüggellandes schickt er seine geflügelten Reiter in alle Richtungen aus. Hier finden seine Reiter Unterschlupf, und ihre Vögel finden Schafe, Ponys – und Vahitfrauen. Hier finden zudem jene, die den langen Flug von Ulúrlim aus antreten, einen unverwechselbaren und zugleich sicheren Landepunkt. Das Hüggelland selbst hat keinerlei Bedeutung für Saisárasar, außer als Brückenkopf eines bereits herannahenden Heeres.
Wehe! Jemand muss eilends nach Caras Berene gehen und den König warnen! Und Boten müssen sich auf den Weg nach Arelian und Vindland machen. Schon laufen die Vorbereitungen, und ich fürchte, auch Azanultol wird hintergangen werden. Sind die Tore Caras Berenes erst einmal offen, wird eine Flut alles hinwegschwemmen, was nicht im Sinne Lukathers ist. Eine Fuíl Vahogath wird es niemals geben! Und wenn, so wird sie ein Ort des Jammerns und Wehklagens sein! Narren, die darauf vertrauen!
Und ausgerechnet zu Alvain! Dann wird der Hammer fallen! Oh sinnreiche Niedertracht! Zu diesem Festtage reisen alle Davenamönche von allen Orten heim zurück nach Daven, um den Gründer unseres Ordens zu ehren. Es ist uns eine heilige Pflicht, und alle meine Ordensbrüder werden ihr wie in jedem Jahr nachkommen. Stets habe ich Jagonam Horen vor einer solchen Lage gewarnt – und wenig mehr als Spott geerntet. Jetzt haben wir die Folgen zu tragen. Niemand meines Ordens wird in Caras Berene sein oder andernorts in Revinore. Auch wird niemand mehr in Arelian sein, dem ich trauen und eine Nachricht senden könnte. Oder den ich um Hilfe bitten könnte. Oh ja, sie wissen genau, was sie tun!«
Er faltete den Brief zusammen und legte ihn zusammen mit der Pergamentkarte Finn in die Hand. Für einen Moment umschloss er mit seinen großen Händen die des Vahits.
»Wir wollen diesen Fund geheimhalten«, sagte er. »Wenn es zum Kampf kommt, werde ich derjenige sein, auf den SaisárasarsSchwert zuerst gerichtet ist. Deshalb darf ich diese Dinge vorerst nicht bei mir tragen. Verwahre du sie für mich. Hüte sie gut! Die Karte werden wir uns ein andermal ansehen. Sie wird ein Rätsel sein, das wir nicht so rasch zu lösen vermögen. Sie muss warten. Schon beginnt die Sonne zu sinken. Fort jetzt mit diesem stinkenden Balg!«
Er schleuderte die schäbige Tasche in die kaum fußbreite Kluft zweier Findlinge. Sie hörten sie hinter einigen kümmerlichen Silberwurzgewächsen ins Dunkel rutschen.
»Abermals wehe!«, fuhr er fort. »Uns schwinden die Tage und Stunden. Allerhöchste Eile ist nun geboten. Darum kommt! Wir haben schon viel zu viel Zeit zwischen diesen kalten Steinen verbracht. Verbracht sage ich – nicht verloren. Das Blut deiner Mutter soll nicht unnütz vergossen worden sein, mein lieber Finn. Auf, sage ich, zurück nach Aarienheim. Und weiter nach Sturzbach, so schnell uns Hufe nur tragen können. Mich und Mellow meine ich natürlich. Du, Finn, musst bei deinem Vater bleiben. Aber wartet, wie gesagt, unsere Rückkehr ab. Brecht keinesfalls vorher auf. Den Rückweg nach Mechellinde treten wir gemeinsam an: wir drei, dein Vater, und mit ihm alle, die uns folgen wollen. Aber nun
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