Der verlorene Brief: Roman (German Edition)
Gute in Kringerdes Weiten, selbst unter immer trüberen und düsteren Himmeln. Wunden des Körpers müssen schmerzen, wenn sie heilen sollen; und Seelenwunden tun es ihnen gleich. Darum trauere und weine, mein lieber junger Freund; aber behalte die Hoffnung dabei stets im Herzen.«
»Wie kann ich das, wo mit jedem Tag unsere Kräfte mehr erlahmen?« Finn setzte Inku auf die Erde.
»Tun sie das?«, fragte Circendil lächelnd. »Oder sprichst du von meinem Bein? Und selbst das beginnt zu heilen, wie du vielleicht bemerkt hast.«
»Ja. Nein. Ich meine etwas anderes. Erst ging es nur um das Hüggelland. Und schon hier war wenig zu hoffen. Jetzt scheint es mir nahezu verloren. Aber immer habe ich im Geheimen auf Revinores Streitmacht gehofft. Auf … Na ja, auf stolze Krieger, gewappnet und gerüstet unter erhaben flatternden Bannern, wie in unseren Büchern. Sagtest du nicht in Abhros Scheune, wir könnten Glimfáins Windbarke dorthin entsenden, um Hilfe zu holen? Da habe ich Hoffnung verspürt. Ein wenig nur, aber ausreichend, um an eine Zukunft zu denken. An eine freundliche, lebenswerte Zukunft. An eine, die nicht aus Qual und Sklaverei besteht unter dem Joch der Tränen tragenden Dunbluódur.
Jetzt müssen wir erkennen, dass dieses mächtige Land längst selbst bedroht ist. Und dem Brief nach nicht nur Revinore. Sondern auch Arelian und Vindland sogar, deine Heimat. Und wir? Wir sind nur zu dritt: du, Mellow und ich. Zwei arme Wichte, würden die Deinen sagen. Und Recht hätten sie. Dazu ein verrückter Mensch … Hilflose, die sich zusammen anmaßen, gleich drei Königreiche retten zu wollen. Drei , Circendil! Wie können wir da noch von Hoffnung reden?«
»Wir sind nicht allein«, widersprach Circendil in mildem Ton. »Es gibt noch andere außer uns. Es gibt noch Hilfe. Vergiss Glimfáin und die Dwarge nicht. Auch wenn ihre Gilwen keine Waffen sind, so sind sie doch mächtige Werkzeuge, die im entscheidenden Moment Nutzen bringen können, falls sie am richtigen Ort in der richtigen Weise eingesetzt werden.«
Finn schüttelte betrübt sein Haupt.
»Wenn und falls, ja. Es ist eine äußerst schwache Hoffnung, die du da anführst. Sie gründet, nach allem, was ich über die Dwarge erfahren habe, auf weit verstreute und zudem untereinander zerstrittene Sippen.«
»Dann nenne ich meine Ordensbrüder. Sie zählen nur anderthalb hundert Köpfe, doch sie sind zum Jahreswechsel nicht länger verstreut, sondern sammeln sich in Daven. Was als Nachteil erscheint, mag doch zum Vorteil gereichen. Unser Fest ist kein rauschendes Fest. Sie werden trotz aller Andacht wachsam sein. Niemand kann einen Angriff auf Vindland führen, den sie nicht verhindern. Zudem liegt das Kloster abgelegen, und ein feindliches Heer müsste sich auf schmalen Wegen zuerst durch ganz Vindland die Küste entlangkämpfen, ehe es Daven erreichte.«
»Ach, und das ist ein Trost? Sagtest du nicht selbst einmal, Vindlands Streitmacht sei nur klein? Und was ist, wenn gar kein Heer des Weges kommt? Sondern gleich ein Schwarm von tausenden von Vögeln, die sich aus heiterem Himmel auf die Klostermauern stürzen? Oder etwas noch Schlimmes? Was ist, wenn einer, wenn zwei, wenn gar alle elf der Dunbluódur erscheinen? Circendil, mein Herz steht still bei der bloßen Erinnerung an jene Nacht. Ich will Amuul nicht einmal mehr auch nur denken müssen! Selbst Saisárasar fürchtete sich vor ihm. Sie alle zusammen … Können deine anderthalb hundert auch dann noch standhalten? Nein! Selbst wenn sie rechtzeitig gewarnt würden. Und: Wer soll sie warnen?«
Er stutzte und sah den vor ihm stehenden Davenmönch stirnrunzelnd an. »Warte! Nein! Und doch! Wir sprechen eben jetzt von dir, nicht wahr? Du willst uns verlassen. Sobald du aus Sturzbach zurück bist. Natürlich!«, rief er aus und klapste sich an die Stirn. »Ich bin ein solcher Narr! Ich bin zu müde. Ich kann kaum noch denken. Aber sicher! Auch du musst ja dem Gebot deines Ordens folgen. Wie konnte ich das vergessen? Zu Alvain heim nach Daven. Du müsstest eigentlich schon längst unterwegssein. Darum also die Eile. Also ist für uns alles verloren. Und da sprichst du von Hoffnung!«
Finn kickte wütend einen Stein beiseite, wandte sich ab und schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen. Inku rannte in welpenhaftem Ungestüm dem Stein hinterher und beschnüffelte ihn.
»Du irrst dich«, sagte Circendil leise. Er ging in die Hocke, drehte den Vahit zu sich herum und sprach:
»Sieh mich an,
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