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Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Brief: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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bitte dich von ganzem Herzen: Lass es niemals meinen Sohn vergelten! Versprich es mir, ja? Er kann doch am wenigsten dafür. Er ist   …«
    »Fionwen?« Zum ersten Mal in seinem Leben nannte er sie so.
    Stets war Fionwen für ihn immer nur »Jumu« gewesen, seine »junge Muhme«, und es war ihr Spitzname geworden; doch in diesem Moment, in dem sie so verzweifelt vor ihm stand, da wurde sie für ihn zu etwas anderem. Nicht mehr nur die Mutterschwester war sie für ihn länger, sondern binnen eines Wimpernschlages erkannte er in ihr ein anderes Wesen: die fast gleichaltrige junge Frau, die seine Schwester hätte sein können. Beinahe hatte er das Gefühl, als würde er unter ihren Augen zum Erwachsenen, als spränge eine Schale ab, von der er nicht gewusst hatte, dass sie ihn umgab. Es war, als wachse er dichter an sie und an die verlassene Stelle seiner Mutter heran, als überspränge er eine Generation; und es war, als webe sich ein neues Band um sie; und sie schwieg verblüfft und sah ihn voller Staunen an. Ein rötlicher Schimmer lag auf den Fingern seiner linken Hand, die auf dem Knauf seines Schwertes ruhten.
    »Sei meinetwegen unbesorgt«, sagte er. »Niemals gebe ich dir oder deinem Sohn irgendeine Schuld. Niemals, das versichere ich dir. Mamas Tod war sinnlos; aber er hätte sie überall ereilen können. Er ist die Folge eines fremden, bösartigen Willens, den wir nicht verstehen können. Jener Wille geht von einem Ort namens Ulúrlim aus. Er geht von einem aus, den sie den Grausamen nennen, und wir wissen nur, dass er seine Bösartigkeit dieser Tage auf das Hüggelland und ganz Kolryn gerichtet hält. Zu unserem Leid: Viele sind seinetwegen schon gestorben, und Mamas Tod war nicht die erste und nicht die letzte seiner Missetaten. Alles das«, sagte er bestimmt, »hat mir dir und deinem Kind nicht das Geringste zu tun.«
    Die Dunkelheit fiel jetzt schnell ins Zimmer.
    Wilhag nahm einen Kienspan, entzündete ihn am Feuer und steckte mehrere Kerzen an, die auf dem Kaminsims und dem Tisch in Haltern standen. Das warme Licht mochte etwas in Furgo berühren, denn er machte einen Laut, der einem Seufzer ziemlich ähnlich kam. Doch er rührte sich nicht und verhielt sich, als habe er die Ankömmlinge nicht bemerkt, als wäre er allein, in diesem Zimmer, im Hüggelland und in Kringerdes Weiten. Bestimmt war er es auf seine Weise auch: Seinem Kummer ausgesetzt, focht er einen aussichtslosen Kampf gegen den Ansturm der Erinnerungen. Er blickte weiterhin mit leerem Blick aus dem Fenster und verlor sich in der Betrachtung der zunehmenden Schatten.
    Der Baum mit seiner Schaukel war zu einem nur noch zu erahnenden Schemen vor schnell ziehenden Wolken geworden, der Zaun dahinter gänzlich im Dunkel der Nacht versunken. Nur die Kerzen spiegelten sich in der Scheibe; kein Licht oder Feuer schimmerte dagegen aus den einsamen Tiefenlanden herauf. Niemand, so vermuteten die Vahits, lebte dort beiderseits der Ufer des Tarduils. Die Lande oberhalb seiner Fälle waren allem Anschein nach verlassen oder niemals bewohnt gewesen, denn auch bei klarstem Wetter sah man weder Straßen noch Bewegungen inder Tiefe; die Eren ausgenommen, die tagein tagaus ihre Kreise zogen.
    Finn riss seinen Blick vom Fenster los. Seine Augen suchten die Fionwens.
    »Aber Sorgen solltest du dir machen!«, beschwor er sie; weit heftiger kamen seine Worte als er es wollte. »Ich meine   – wenn du auf meinen Rat hören willst, so sorge für dich und deinen Sohn, so gut du nur kannst. Er ist wahrlich zur Unzeit geboren worden! Und ich fürchte um sein und um dein eigenes Leben, Fionwen. Ich kann dir nicht viel mehr raten als dies: Bleibe fortan und bis auf Weiteres im Haus. Geht nicht zusammen ins Freie, und wenn, dann nur im Schutze mehrerer bewaffneter Vahits. Überall und allezeit droht nun Gefahr. Jene Vögel des Feindes, von denen ein einzelner Mama tödlich verletzte, sind um vieles größer als Eren; und sie wittern und begehren das Fleisch von Vahitfrauen mehr als alles andere. Meide fortan den freien Himmel, Fionwen. Dir und deinem Kind zuliebe. Mehr kann ich nicht sagen.«
    Fionwen sank in den Sessel zurück, ihren Sohn an sich gedrückt.
    »Meinem Kind zuliebe«, krächzte Furgo plötzlich. Sie alle schraken zusammen. »Wo ist Finnig?«
    »Hier, Schwager«, sagte Fionwen rasch. Finn wollte zu ihm treten, doch Fionwen schüttelte den Kopf. Sie nahm das schlafende Kind samt einer Decke und legte beides Furgo vorsichtig in den Schoß.
    Mit

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