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Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Brief: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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wirklich. Er ist wie ein Lichtblick unter lauter finsteren Wolken. Und noch so jung   – so verwundbar. Und in was für eine Welt ist er hineingeboren worden? Schon hat er seine Mutter verloren, in derselben Nacht wie ich die meinige. Ein grausiges Schicksal hat uns zusammengeführt.«
    Sanft hob und senkte sich die winzige Brust des Hundes im Takt seines gleichmäßigen Atems. Er schlief jetzt, zusammengerollt und den Kopf auf seine Pfoten gebettet: tief und fest und mit neu gefasstem Vertrauen. Finn streichelte ihn, und der junge Atruma räkelte sich und schmatzte leise wie in einem behaglichen Traum. Finn legte seinen Mantel und seinen Rucksack neben ihn zum Zeichen, dass er sicher wiederkommen werde.
    Dann verließen die beiden Vahits auf leisen Sohlen den Raum.
    Wilhag entzündete eine Öllampe. Dann führte er Finn um zwei Ecken herum und eine schmale Stiege am Ende eines Flures hinab. Unten ging es mehrfach um Vorsprünge und durch eine Diele, in der Furgos Tragestuhl stand. Endlich klopfte Wilhag an eine Tür. Eine Frauenstimme antwortete. Sie traten ein und sahen Furgo in einem Sessel sitzen, am Tisch und nahe beim Fenster. Das geschiente Bein ruhte auf einem Schemel. Der verletzte Arm hing in der Schlinge. Finns Vater rührte sich nicht, er wendete nicht einmal den Kopf. Der Blick des alten Vahits ging ohne jede Regung über den Rasen zum Sturz hinaus.
    Das Licht draußen verblasste zu einer frühen Dämmerung. Den ganzen Tag über hatte sich die Sonne nicht gezeigt, und auch jetzt hielt sie sich weiter bedeckt und warf keine Schatten. DasGrün des Grases verfiel zu einem matten Grau, während sie noch warteten, ob Furgo sich zu ihnen umdrehen möge. Das Weiß des Zaunes hinter den zerzausten Halmen wurde binnen weniger Atemzüge erst wächsern, dann zu einem silbrigen Schimmern, ehe es zu zwei fahlen, waagerechten Bahnen verstarb, hinter denen sich der Himmel verdunkelte. Weder Mond noch Sterne waren zu sehen. Der Walnussbaum schüttelte seine dicken Äste unter dem Ansturm des Windes. Die Schaukel pendelte verlassen an ihren Seilen. Die Scheite im Kamin knisterten, Funken stoben, sie hörten den Wind an den Flammen ziehen.
    Eine junge Frau saß Furgo gegenüber. Sie erhob sich, als die beiden Vettern das Zimmer betraten. An ihrer Seite schlief ein Kind in einer Wiege.
    »Kommt doch näher«, sagte sie nach einer Weile des Schweigens, in der alle zu Furgo hinsahen. Es war Fionwen, die jüngste Mutter im Tauberhaus. Sie war nur wenige Jahre älter als Finn   – das einstige Nesthäkchen von Hámlats Familie. Jetzt erlebte Finn sie zu voller Schönheit herangereift, die dem Abbild auf Amafilias Tassel verblüffend ähnlich sah.
    Ein strahlendes Lächeln glitt über ihr Gesicht. »Mein lieber Finn! Wie sehr freue ich mich, dich zu sehen!« Sie drückte ihn innig an sich und behielt auch danach seine Hände umfasst. Dann ließ sie sie erschrocken los und sagte: »Verzeih mir! Ich wollte nicht unehrerbietig erscheinen. Du erwartetest mein Beileid, und stattdessen überfalle dich mit meiner Freude. Es tut mir alles so schrecklich leid. Ich bin so durcheinander. Amie war mir eine so große Hilfe. Und jetzt   … Sie war so rücksichtsvoll und doch so stark. Ohne sie hätte ich es nie geschafft. Mit ihrer Hilfe brachte ich einen gesunden Sohn zur Welt. Sieh ihn dir an!« Sie schlug das Bettdeck zur Seite und hob ein umwickeltes Bündel heraus. Ein winziges Vahitkind schlief darin, mit einem Gesicht, das Finn noch zerbrechlicher erschien als Inkus Welpenantlitz; und der gleiche Gedanke wie zuvor schoss ihm durch den Sinn: In was für eine Welt bist du bloß hineingeboren worden?
    Laut aber sagte er:
    »Ich bin es, der froh ist, Fionwen. Zu sehen, dass es dir und dem Kind gut geht, bedeutet mir viel. Ich bin   … ja, wirklich froh. Es geht euch doch gut, euch beiden?«
    »Aber ja«, sagte Fionwen; aus ihrem Lächeln quollen übergangslos Tränen. »Ich mache mir nur solche Vorwürfe, jetzt, wo das alles geschehen ist. Wäre ich nicht an der Zeit gewesen, wäre Amie nicht nach Aarienheim gekommen. Und sie würde noch immer leben, bei euch in Moorreet. Finn, ich habe das Gefühl, ich trage die Schuld an ihrem Tod.«
    »Aber das ist doch großer Unsinn«, fiel er ihr ins Wort. »Bei uns in Moorreet   …«
    »Ich weiß; aber alles fühlt sich so falsch an seitdem. Ich habe Angst, du wirst mir eines Tages den Tod deiner Mutter vorhalten; und wenn es so kommt, nun gut, dann nehme ich es auf mich. Aber   – ich

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