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Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Brief: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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Zweigen. Der Mantel bauschte sich. Finn konnte keine Waffe erkennen. Dennoch klopfte sein Herz. Der Wind blies heulend um den Felsen, und Finn merkte mit einem Mal, wie sehr er fror. Ein bebendes Zittern überkam ihn.
    Er ergriff Maúrgin fester.
    Das gelbe Licht verblich auf den rotgrauen Felskanten.
    Plötzlich lag ein Teil des Dammes in abgrundtiefe Schwärze gehüllt. Der andere, der vordere Bereich, war von einer umso blendenderen Helligkeit.
    Der Mantel umflatterte den im Dunkeln Wartenden.
    Eine Sekunde oder zwei konnte Finn ihn besser hören als sehen. Wieder blies der Wind. Dumpf schlug der Stoff in seinen Falten; und es war, als zögere die Gestalt darunter, als fasse sie einen unumkehrbaren Entschluss; dann trat sie einen Schritt ins Mondlicht hinaus.
    Und gerade eben, als Finn erkannte, wer da oben vor ihm stand, wer da auf ihn wartete, eben da bewegte sich der Arm und fuhr herab.
    Ein knirschender und zugleich dröhnender Schlag ließ Finns Ohren zerspringen. In seinen Kopf bohrte sich ein wilder, unsäglicher Schmerz, als triebe jemand einen klafterlangen Eiszapfen durch die Stirn mitten in seinen Schädel hinein. Grelle Lichter flammten hinter seinen Augen auf, sodass er nichts mehr außer ihnen sah.
    Er taumelte, wollte schreien, aber nicht einmal das vermochte er mehr zu tun.
    Maúrgin entglitt seiner kraftlos gewordenen Hand. Klirrend schlitterte die Klinge über den glatten Stein und verschwand im Dunkel.
    Finn taumelte. Seine Sohlen verloren den Pfad. Hart schlug er auf dem Steinboden auf, glitt über die ausgewitterten Stufen ab und rutschte und rollte, sieben, acht, zehn Klafter weit. Die gesamte steile Felswand rutschte er hinab, ohne dass der sich zweimal unter ihm windende Pfad seinen Sturz aufzuhalten vermochte.
    Kopf und Schultern, Knie und Ellenbogen schlugen an das Gestein.
    Dann verlor er vollends den Boden unter sich. Finn fiel zugleich in zweierlei Art Schatten: in die des Beukelfelsens und zunehmend in die seiner eigenen Ohnmacht. Seltsamerweise vermeinte er, mit dem letzten Rest seines Bewusstseins das schwere Schlagen von Flügeln zu hören. Oder es war nur der Wind, der im Geäst des einsamen Buchsbaums rauschte. Mein Gesicht ist ganz nass , dachte er.
    Dann hüllte Dunkelheit ihn ein.
    Als Finn wieder zu sich kam, kniff er die Augen zusammen. Ein flackerndes Licht blendete ihn: Wilhag stand über ihn gebeugt und hielt eine Fackel hoch. Circendil und Mellow knieten neben ihm. Der Mönch tupfte etwas mit einem rotgefärbten Tuch von Finns Stirn.
    »Wie schaffst du das nur immer?«, schimpfte Mellow, als Finn mühsam die Augen offenhielt. »Kaum lässt man dich alleine, gerätst du in die allergrößten Schwierigkeiten!« Er war wütend darüber, zunächst in die falsche Richtung gerannt zu sein, und machte sich stille Vorwürfe.
    »Wie   … wie lange habe ich   …?« Finn schluckte schwer und schmeckte Blut. Er hatte sich auf die Lippe gebissen.
    »Wie lange du hier liegst?«, fragte Circendil. »Keinesfalls lange. Wir hörten dich fallen, als wir gerade die Steigbrücke erreichten. Seitdem sind drei, vielleicht vier Minuten vergangen.«
    »War ein ganz schönes Gepoltere«, meinte Mellow. »Ich hoffe, es waren alles Steine und nicht deine Knochen.«
    »Ich werde meine Knochen danach fragen, sobald sie nicht mehr mit Wehtun beschäftigt sind«, erwiderte Finn. Vorsichtig richtete er sich in eine halbwegs sitzende Stellung auf. Er betrachtete seine Hände: Sie waren an den Knöcheln aufgeplatzt und bluteten.
    »Du machst schon wieder dumme Witze, also wirst du es überleben.« Mellow klang sehr erleichtert.
    Wilhag dagegen schüttelte vorwurfsvoll den Kopf und schwenkte die Fackel. »Mann, du bist völlig verrückt, weißt dudas? Ohne Licht des Nachts auf den Beukel zu klettern! Als wärest du fremd hier, also wirklich! Was bitte wolltest du denn da oben, das möchte ich mal wissen?«
    »Ich wollte ihm nach«, antwortete Finn. Vorsichtig befühlte er seine Lippe mit der Zunge. »Er lief hinauf. Wollte ihn warnen, verhindern, dass er abstürzt. Und ihn natürlich zur Rede stellen! Habt ihr ihn nicht gesehen?«
    »Wir haben niemanden gesehen   – leider«, sagte Mellow. »Seltsame Art übrigens, einen Sturz zu verhindern, indem man selber springt.«
    »Ich bin überhaupt nicht gesprungen.«
    Finn sah zum mondbeschienenen Beukelfelsen hinauf und begriff erst in diesem Moment, wie tief und gefährlich sein eigener Absturz tatsächlich gewesen war. Dass er noch lebte, erschien ihm

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