Der verlorene Brief: Roman (German Edition)
ehrlich gesagt gestohlenbleiben!« Er warf einen Blick auf die schon sichtlich heruntergebrannte Fackel. »Also los, Wil! Dein Licht hält nicht ewig vor.«
Sie gingen zu dritt über den Damm zurück: Circendil, Wilhag und Finn; und es erwies sich als schwieriger, als er gedacht hatte, sich zu erinnern, wo ihm Maúrgin entfallen war.
Der Karbeol war es schließlich selbst, der sie gleichsam zu sich rief – nach vielmaligem Hinabbeugen in Mulden und Suchen hinter glatten Kuppen. Wie ein rotes Auge betrachtete er ihr vergebliches Treiben; und als sie ihn endlich im Fackelschein aufblitzen sahen, fanden sie Maúrgin ganz knapp am Rand des Beukelfelsens liegend. Wäre die Klinge nur eine Handbreit weiter gerutscht, wäre sie in den gähnenden Abgrund gefallen. Finn hob den Dwargendolch auf und schob ihn erleichtert zurück in die Scheide. Wilhag, der Finn an der Hand festhielt, zog ihn von der Kante weg. Sie sahen sich nach Mellow um. Er stand noch immer drüben unter dem Baum und starrte in die Dunkelheit.
Erst als Wilhag rief, kam er zögernd über den Damm herüber, als sei er unschlüssig, ob dies das Richtige sei. Den kristallenen Tropfen trug er auf der flachen Hand.
»Was ist mit dir?«, fragte Finn, als er wieder bei ihnen war. »Träumst du? Lass uns gehen. Ich jedenfalls habe genug vom Wind. Und von Steinen, gleich welcher Art. Ich will zurück zu einem Dach über dem Kopf, wenn du mich verstehst.«
Mellow antwortete nicht.
Er schloss die Hand um seinen Fund und steckte ihn in die Tasche. Er war der Letzte aus ihrer Gruppe, der den Pfad herunterkam, und noch auf der unteren Kehre hielt er inne und drehte sich um, als bereue er, den Beukelfelsen verlassen zu sollen. Er murmelte etwas. Viel zu leise, als dass sie es verstehen konnten, und nur zu sich selbst. Seine Hand blieb in der Tasche, den ganzen Weg über, bis sie beim Tauberhaus anlangten.
Bholobhorg blieb indes verschwunden. Und obwohl Circendil nach Fingerzeigen Ausschau hielt, bis ihnen die Fackel unterwegs zischend verlöschte, so fand er doch keine Anzeichen dafür odergar Spuren, die verrieten, ob der Vahit vor ihnen ins Dorf zurückgegangen war.
Zurück im Tauberhaus wehrte Finn alle ihn bedrängenden Fragen mit dem Hinweis ab, ihm sei nicht gut, ja ihm wäre sogar etwas schwindelig. Und das war auch keine Ausrede, hätte der junge Vahit in einen Spiegel gesehen, so hätte ihn sein eigenes bleiches Antlitz erschreckt.
Inku kam ihm erleichtert entgegengerannt. Der kleine Atruma flüchtete sich vor den vielen Füßen im Flur auf seinen Arm, und sogleich zogen sie sich in Wilhags Zimmer zurück. Inku krabbelte schon in seine Decke, als es an der Tür klopfte. Es war Circendil. Er trug ein Tablett mit einer Schüssel, daneben stand eine Tasse, aus der es dampfte. Dankbar nahm Finn den heißen Tee entgegen, den der Mönch mit nach oben gebracht hatte.
Während er in kleinen Schlucken trank und darüber immer müder wurde, säuberte Circendil die frischen Wunden, bedeckte sie mit Kräuterblättern und verband sie richtig; dann stand er auf, um sich zu verabschieden.
»Schlafe jetzt, wenn du kannst«, sagte er. »Du musst wieder bei Kräften sein, wenn du morgen früh mit uns aufbrechen willst.«
»Bitte bleib noch einen Moment«, bat Finn. »Da ist etwas, über das ich mir Sorgen mache. Na ja, große Sorgen für mich, kleine nur in einer Zeit wie dieser, fürchte ich.«
Er trug Circendil die Bedenken vor, die er sich wegen seines Vaters machte. »Ich weiß nicht, welche Entscheidung für Papa die richtige ist«, schloss er. »Fest steht nur eines: Er ist krank. Er braucht Fürsorge; etwas, das ich ihm nicht geben kann, wenn ich bei dir bleiben soll. Aber im Tauberhaus kann er auch nicht bleiben, schätze ich. Obwohl es das Beste für ihn wäre. In Moorreet ist niemand mehr, der sich seiner annehmen kann. Ich wollte mit Hámlat darüber sprechen, gerade, als ihr ankamt, und ehe Bhobho lauschte und alles. Ich weiß nicht, was ich machen soll, Circendil.«
Der Mönch lächelte milde. »Heute Abend? Gar nichts mehr, wenn du meinen Rat annehmen willst, Finn. Warte den Morgen ab. Alles wird sich dann leichter finden. Sei nur getrost und schlafe jetzt.«
»Wie könnte ich.« Finn sagte es, aber in Wahrheit fielen ihm fast schon die Augen zu. Seine Stirn pochte im Takt des Herzschlages, und ergeben ließ er sich in das Kissen sinken. Von der Hundedecke her hörte er Inkus leise Schlafgeräusche.
Der Mönch versprach, nach Furgo zu sehen; dann
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