Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Brief: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
Vom Netzwerk:
er nur fähig war: »Ist ja schon gut, Mellow. Behalte ruhig den Stein. Ich hab doch nur gefragt. Behalte ihn, wenn es dir so wichtig ist. Niemand wird danach grabschen, du meine Güte! He, weißt du was? Das wird deine Laune bessern! Was sagst du zu einem prächtigen Frühstück? Oma Walnutia backt das beste Brot im Tiefengau! Stimmt’s, Wil? Na, komm schon, ehe die anderen uns alles wegessen.«
    »Behalt dein blödes Brot!«, zischte Mellow. Die Wut in ihm war noch nicht verraucht, sondern brodelte im Hintergrund weiter, wie ein Unwetter, das sich über ihren Köpfen zusammenballte und jederzeit losbrechen konnte; er wandte sich brüsk ab und starrte über die Klippe hinaus. »Ich hab keinen Hunger! Und wenn, ging’s euch nichts an! Esst, wenn ihr’s nicht lassen könnt, aber lasst mich zufrieden. Verschwindet. Lasst mich einfach in Ruhe!«
    Der Himmel hinter Mellow begann zu flammen, als bliese der Wind in eine nicht ganz verlöschte Glut, gerade, als er sich wieder niederhockte. Noch war die Sonnenscheibe selbst nicht zu sehen. Aber schon eilten ihr aus einem schmutzigen Aschenrot erste Strahlen voraus: stiebende Funken, Vorboten ihres kommenden Erscheinens. Sie ließen die Wolkenunterseiten und den fernen Himmelsrand aufglühen wie flüssiges Erz, das ein düsterer Schmied in einem grauschlammigen Sintertümpel schreckte.
    Während Finn und Wilhag sprachlos vor Mellow standen, unfähig, etwas darauf zu erwidern, brach das Rund der Sonne aus dem Himmelsrand hervor, und dieser Anblick wirkte auf Finn, als brodele und berste Kringerde und würfe kochende Lava ihrer selbst empor.
    Geblendet schloss Finn für einen Moment die Augen. In seiner tiefen Betroffenheit über Mellows Wandel empfand er einejähe Furcht. Er dachte an ein alles verzehrendes Feuer, das nunmehr begann. Die Sonne, so stellte er sich vor, würde eben jetzt für einen fern im Osten stehenden Betrachter die gewaltige Linvahogath in Brand setzen, würde ihr rötliches Gestein zu einer Mauer aus hoch aufschießender Glut entfachen. Und mit diesem Brand würde die Stunde der Eren beginnen, die zu dieser Zeit ihre Horste verließen, um in den schattenlos gewordenen Fennen tief unter ihnen zu jagen.
    Vielleicht, dachte Finn, ehe er sich von Mellow abwandte, ja, abwenden musste, vielleicht würden sie über dem Aufwallen lodernden Lichts auch die kleine Gestalt des Vahits bemerken, der einen Stein umklammert hielt.
    Eine Welle von Wut ging von Mellow aus, die Finn fast körperlich zu spüren meinte.
    Etwas geschah mit seinem Freund, etwas, das nicht geschehen durfte!
    Geduckt saß er da, wie weggewischt war alle Fröhlichkeit. Von seinem Kopf sah man nur noch seinen roten, tief ins Gesicht gezogenen Hut. Das blaue Band daran flatterte fahrig im Wind. Mellow wirkte, als würde er jedem, der ihn noch anzusprechen wagte, an die Gurgel fahren. Als habe etwas seinen Geist betört.
    Finn erschrak bis ins Mark. Hastig zog er seinen Vetter mit sich fort.
    »Wir müssen Circendil finden!«, drängte er, als sie den Mühlbach entlangliefen und kaum dass sie hinter den Kiefern außer Hörweite waren. »Wehe! Etwas Schlimmes ist im Gange! Es ergreift von ihm Besitz. Es ist dieser Stein. Mellow ist von ihm besessen. Dieses Ding macht ihn ganz und gar verrückt! Ich konnte es vom ersten Augenblick an nicht leiden! Jetzt weiß ich, warum!   – Komm schneller, Wil!«
    Sie rannten um die Scheune und riefen Circendils Namen.

13. KAPITEL
Das Ende vom Lied
    N IEMAND SCHIEN AN DIESEM Morgen zu wissen, wo Circendil zu finden sei. Als sie das Tauberhaus erreichten, fanden sie das große Esszimmer fast verlassen vor. Einzig Fiongars Zwillingstöchter Amalina und Amwen deckten den langen Tisch ein. Sie zuckten zugleich mit den Schultern.
    In der Küche schüttelten Walnutia und Amadine die Köpfe. Harriata meinte, »der Herr Circendil« befände sich gewiss im Stall bei den Ponys. Wilhag rief ein »Danke, Mama!« über die Schulter. Schon rannten sie wieder hinaus   – wenn man es denn rennen nennen wollte. Finn folgte Wilhag mit zunehmend zusammengebissenen Zähnen; jeder Knochen im Leib erinnerte ihn an seinen gestrigen Fall vom Beukel herab.
    Bei den Ponys trafen sie den ältesten der drei Hámlatsöhne an, aber keinen Circendil.
    Oheim Bardogar stieß die Mistgabel in den Haufen zurück und ergriff einen Besen. »Hm! Den Dir sucht ihr? Er sollte bei deinem Vater sein, nehme ich an, Finn.« Er kratzte sich die kahler werdende Stelle seines Hauptes. »Jedenfalls

Weitere Kostenlose Bücher