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Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Brief: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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verlangte er vorhin nach frischen Tüchern, hörte ich; er hatte vor, glaube ich, Furgos Beinschiene neu zu richten. Das heißt, wartet! Vielleicht ist er auch in der Werkstatt. Etwas gefiel ihm wohl an eben dieser Schiene nicht. Dabei hab ich sie selbst angefertigt. Hat schon ein etwas fremdartiges Benehmen, dein lieber Menschenfreund, das will ich dir mal sagen. Kommt da aus den Tiefenlanden heraufmarschiert, isst für drei und mäkelt hernach glatt an unserer guten, alten Handarbeit herum. Na ja, wir sind keine Heiler, erscheint immerhin etwas davon zu verstehen. Über Kräuter weiß er mehr als unsere alte Muldwyrda, also sei’s drum!« Er schwang weiter seinen Besen und widmete sich erneut der Arbeit, die Stallungen zu säubern.
    Finn trat besorgt zu Smod hin, der sichtlich lustlos über seinem Haferfrühstück brütete. Gwaeth und Vanku schmausten hingegen gemeinschaftlich. Man hörte und sah, wie es ihnen mundete.
    »Na, mein Bester, was ist denn heute nur los mit dir?« Die einsame Möhre lag wie zuvor unbeachtet zu Smods Hufen, ein verlorener Farbklecks im Stroh. Immerhin wich Smod nicht zurück, als Finn seine Mähne strubbelte. Für einen Moment drückte er seinen langen Ponykopf fest an Finns Schulter, und sein Schweif fuhr wild hin und her. Doch die Nähe, die sonst ein freudiges Schnauben oder gar Tänzeln ausgelöst hätte, führte zur Starre   – und beides unterblieb. »Auch du bist seltsam an diesem Morgen«, murmelte Finn. »Man könnte meinen, du seiest traurig. Weißt du wenigstens, wo wir Circendil finden können?« Falls Smod es wusste, so verriet er es nicht. Er blickte seinen Herrn stattdessen unverwandt an   – auf eine Weise, die Finn zu Herzen ging und ihm einen Kloß im Hals bescherte. Fast war ihm, als hätte er etwas erkennen sollen oder lesen müssen, was in diesen Augen geschrieben stand; doch alles, was er sah, war ein feuchtes Schimmern über unergründlichem Braun. Ein Zittern lief die Flanken des Ponys entlang. Finn bekam ein schlechtes Gewissen und wusste nicht, weshalb.
    Wilhag zog seinen Vetter förmlich aus dem Stall und schob ihn zur Werkstatt hinüber. »Ich weiß nicht, was er hat, Wil«, entschuldigte sich Finn. »So benimmt er sich nie. Hoffentlich ist er nicht krank, meine ich, das fehlte gerade noch.«
    »Er wird bloß müde sein. Wie lange seid ihr jetzt ununterbrochen unterwegs, sagtest du?«
    »Seit letztem Dienstag. Vielleicht ist es das   – seit neun Tagen hat er seinen heimatlichen Stall nicht mehr gesehen. Und zu viel ist in dieser Zeit geschehen. Wir wurden getrennt, und er musstefliehen, musste alleine seinen Weg durch die Wildnis finden.« Finn fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Vielleicht erinnert er sich jetzt daran, und ihm ist darum beschwerlich zumute. Du meine Güte, Wil   – vor acht Tagen begegnete ich Saisárasar zum ersten Mal, und obwohl es eine Woche her ist, erschrecke auch ich bei dem bloßen Gedanken daran immer noch. Und wir haben heute nichts Besseres vor, als eben diesem Übel erneut entgegenzureiten. Ja, vielleicht spürt der gute Smod das. Ein Wunder, wenn es ihn nicht bekümmerte! Aber das alles muss warten. Ich fürchte, ein anderes Übel ist uns weitaus näher. Komm!«
    Damit öffneten sie die Werkstatttür und blickten in Oheim Ewerdargs fragend von der Werkbank erhobenes Gesicht. Es glänzte vor Schweiß; in der Hand hielt er einen Hobel.
    »Wir suchen Circendil, Papa«, erklärte Wilhag.
    »Er sollte eigentlich schwer zu übersehen sein.« Der zweitälteste Hámlatsohn drehte sich einmal im Kreis, um anzudeuten, wie leicht es wäre, den Menschen zu entdecken, befände er sich nur hier. »Er schaute allerdings vorhin vorbei. Hat sich einen Möbelkeil erbeten, wofür auch immer. Und den Abschnitt eines Besenstiels, nein, fragt mich nicht. Bestimmt ist er bei deinem Vater, Finn.«
    Die beiden Vettern riefen »Danke!« und eilten, eine Sägemehlwolke aufwirbelnd, zur Tür hinaus und zum Tauberhaus zurück.
    An der Eingangstür rannten sie beinahe in Finns Muhme Fionwen hinein. Die junge Frau stand selbst soeben im Begriff, aus dem Haus zu stürzen. Sie stieß einen leisen Schrei aus, als die aufschwingende Haustür sie traf, zum Glück nur an der Hüfte streifte, aber es genügte, ihr einen gehörigen Schrecken zu versetzen. Die Lampe, die sie in der Hand gehalten hatte, fiel scheppernd zu Boden und erlosch.
    »Entschuldige«, sprudelte Finn hervor. »Wir hätten besser aufpassen sollen. Hoffentlich hast du dir nicht

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