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Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Brief: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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während er sich anzog und reisefertig machte. Später sollte er sich dieses Morgens gut erinnern: Für eine sehr lange Zeit hatte er in jener Nacht im Tauberhaus zum letzten Mal die Annehmlichkeiten eines Bettes und überhaupt den Schutz eines Daches über dem Kopf genießen dürfen. Doch das ahnte er nicht. So grummelte er weiter und schätzte nicht, was ihm schon wenig später als unendlich wertvoll und unwiederbringlich verloren dünkte.
    Obwohl es noch dunkel war, summte und brummte es bereits im Tauberhaus, als Finn herunterkam, mit Mantel, Tasche und Rucksack beladen. Er stellte sein Gepäck im Flur ab und lugte, seiner Nase folgend, in die Küche, aus der es anregend nach frischem Brot und anderem duftete.
    Circendil, erfuhr er von einer bis über beide Arme mehlbestäubten Amadine, hatte noch am Abend zuvor ihre Abreiseverkündet, nach einem langen Gespräch mit dem alten Hámlat. Infolgedessen sei ein jeder im Haus zeitig aufgestanden, um seinen Teil zum Abschied mit beizutragen. Natürlich war jetzt ein Frühstück für alle vorzubereiten. Walnutia verriet, sie habe nach einem langen, abschätzenden Blick auf den Menschen verfügt, Wegzehrung für »wenigstens fünf« einzupacken, obwohl nur drei Reiter zu versorgen seien. Sie wischte sich die Hände an der Schürze ab und fragte, was er wolle. Finn äußerte eine Bitte und bekam sie erfüllt, doch dann schoben ihn die Frauen zur Tür hinaus.
    Finn ging in den Garten. Es war überraschend kühl, beinahe kalt. Der beständige Westwind hatte feuchte Meeresluft herangetragen. Schlotternd zog er den Mantel enger um sich. Vor seinen Lippen kräuselten sich Atemwölkchen, während er nahe beim Zaun stand und sich fragte, was dieser Tag dem Hüggelland wohl bringen würde. Zumindest keinen Regen mehr, hoffte er inständig, jedenfalls solange nicht, wie sie unterwegs waren. Er sah misstrauisch zum Himmel hoch, feuchtete seinen Finger an und prüfte die Windrichtung: noch immer Südwest, kein gutes Zeichen. Aber die Nacht hatte die meisten Wolken vertrieben, und das gab Anlass zu vorsichtiger Zuversicht, wie er fand. Der Wind blies frisch, und wenn sich die Sonne nicht tagsüber durchsetzte, würde das Reiten kein Vergnügen werden.
    Als er sich abwenden wollte, verblassten soeben die letzten Sterne; und zugleich verkündete ein matter grauer Streifen im Osten über den Tiefenlanden das Nahen des Tages.
    Die fernen Gipfel des Akhanaith endh Anth-i-dheriltené schimmerten über dünnen Dunstfetzen   – nicht mehr als schwarze und weiße Linien am Himmelsrand. Davor und darunter lagen weite Flächen aus erstarrtem, farblosem Nachtgrau: schweigende Wälder, in denen der Morgen noch nicht angebrochen war. Die nähergelegenen, scharfen Zacken der Flussinsel Langschelf sahen aus wie schwarze Höcker auf dem Rücken eines zwischen den Ufern badenden Untieres, Schatten wie Wellen werfend. Derdem Hüggelland zugewandte Arm des Tarduils selbst lag tief unter ihm: ein unbewegtes, unwirkliches Band, über dessen Verlauf tastende Finger von Nebeln krochen, und Finn fragte sich unwillkürlich, wonach sie wohl suchten   – und was sie wohl taten, wenn sie es fänden. Innerlich aufgewühlt von dem Anblick des gestaltlosen Wallens, erinnerte er sich des verschwundenen Bholobhorgs und fragte sich erneut, wo der Landhüter nur abgeblieben war. »Als wäre dabei böse Zauberei im Spiel«, hörte er sich selber sagen. Wie von Ferne hörte er die Stimme seiner Mutter, die ihn leise ermahnte, sich nicht derlei Märchenunsinn hinzugeben. Er schüttelte sich, plötzlich zu gleichen Teilen erfüllt von Trauer, Unrast und einer seltsamen Vorahnung von tunlichster Eile. Finn holte tief Luft, wandte sich um und machte sich daran, Circendil und Inku zu finden.
    Im Stall kümmerten sich die älteren Kinder noch halbschlafend und gähnend um das Futter für die Tiere. Mitten unter ihnen fand Finn auch einen vergnügt pfeifenden Wilhag bei der Arbeit vor, der mitten in der Nacht aufgestanden sein musste. Er war schon im Postlerstall gewesen und hatte Gwaeth und Vanku gegen die geliehenen Ponys ausgetauscht. Das Satteln sei ihm eine Ehrensache, versicherte er Finn, als er den letzten Gurt festzurrte. Smod und die beiden Rohrsang-Ponys sahen leidlich ausgeruht aus, Vanku und Gwaeth wirkten fast unternehmungslustig; und beide freuten sich gemeinschaftlich über die besonders großen Möhren, die Finn ihnen aus der Küche mitgebracht hatte. Smod indes blickte Finn nur traurig an, als wolle ihm

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