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Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Brief: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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vollkommen vergessen.
    Aber als er vorsichtig hinter dem Stumpf hervorspähte, sah er nur einen großen Schwarm Krähen landen, die aufgeregt lärmten und sogleich in der schwarzen Erde zu picken begannen. Heftiges Gezanke und Gezeter setzte fast unmittelbar ein, als die ersten Vögel Würmer oder anderes, von Feuer und Wasser gefoltertes Getier fanden: Mit heiserem Gekrächze begannen sie, ihre Beute zu verschlingen. Finn stieß den angehaltenen Atem aus und lächelte. Er rappelte sich hinter seinem Baustumpf auf und drehte sich kopfschüttelnd um, um seine Suche fortzusetzen. Er wandte sich von den Krähen ab   – und erstarrte.
    Vor ihm, vielleicht fünfzehn Vahitlängen entfernt, richtete sich eine gebückte Gestalt aus dem Nebel auf.
    In beiden Händen hob sie etwas Längliches aus dem Gras: ein kühn geschwungener Stiel mit einem halbrunden Blatt an einem Ende. Er hat die Axt gefunden!, durchfuhr es Finn. Und auch noch viel eher, als ich dachte.
    Das Gesicht der Gestalt konnte er zunächst nicht erkennen   – Finn blickte nur auf einen schmalen Rücken, über den zwei gekreuzte Lederflechtriemen zu den Seiten liefen; sie endeten in prallen, an den Körper geschnallten Hüfttaschen.
    Die Körperform war zweifellos die eines Menschen; aber sie war um einen Kopf kleiner und insgesamt schmächtiger, als es Circendil oder Saisárasar waren.
    Eine Art spitzer, mit einem dichten Pelzkranz versehener Hut aus rotem Leder verdeckte den Hinterkopf; darunter fielen schulterlange Strähnen pechschwarzen Haares hervor, die, wie auch der Pelz, vor Feuchtigkeit glänzten. Der Oberkörper wurde von einem schmutziggrauen, ebenfalls pelzumsäumten Überwurf bedeckt, der bis an die Knie reichte. Darüber trug der Dir eine Weste oder einen ärmellosen Mantel von der Farbe alten, verschmierten Blutes, dessen weit herabhängende Schöße über die Halme der Gräser strichen. All das wurde von den Lederbändern mit den gebauschten Taschen und einem breiten Gürtel zusammengehalten. Die Beine unterhalb der Knie steckten in hohen Fellstiefeln, deren Schäfte von darumgewundenen Riemen eng an die Unterschenkel gedrückt wurden. Ein langes Krummschwert verbarg sich in einer dunkelbraunen, hölzernen Scheide, die der Mann hinter seinen Gürtel geschoben hatte. Jedenfalls nahm Finn an, einen Mann vor sich zu sehen. Beiderseits der hohlen Wangen baumelten dünne, perlenverzierte, geflochtene Bartspitzen herab, die bis über das Kinn fielen und hin und her wippten, als die Gestalt Glimfáins Axt stirnrunzelnd betrachtete.
    Dabei legte sie den Kopf schief, als horche sie in den Nebel hinein, der sich in der über den Sturz kletternden Sonne langsam aufzulösen begann.
    Unter den Krähen in Finns Rücken entbrannte plötzlich ein neuerlicher Streit.
    Für einen Moment gefror Finns Herz, als sich die Gestalt umdrehte und genau in seine Richtung sah. Finn glaubte in pechschwarze und seltsam schrägstehende Augen zu blicken, die tief in einem faltigen, wie von schwerer Krankheit gezeichneten und gelblich schimmernden Gesicht lagen wie Kohlen in einem Kreis aus schwefelversetzten Lehm. Aus einer Laune des Schicksals heraus wurde Finn im selben Augenblick von einem Schwall des träge zum Fluss treibenden Nebels verschluckt. Von einem Augenblick zum nächsten sah er nicht einmal mehr die eigene Hand vor Augen.
    Ohne nachzudenken duckte er sich zu Boden; dann schlich er, jedes Büschel Riedgras sorgsam meidend, so lautlos es ging um den Baumstumpf herum, bis sich dieser zwischen ihm und dem Ledir befand. Doch schon im nächsten Moment erschrak Finn erneut bis ins Mark. Der Nebel wogte und wanderte weiter, verdeckte nunmehr die Gestalt des Fremden, während er selbst plötzlich von der Sonne geblendet wurde. Finn wagte nicht zu atmen und duckte sich so flach es ging ins Gras. Vorsichtig hob er den Kopf und blinzelte über die raschelnden Halme.
    Ein von einem Windseufzen begleitetes Aufwallen enthüllteihm kurz darauf   – nichts. Nichts außer verkohltem Gras und rabenschwarzen Ästen, von deren verkrümmten Spitzen die Nässe tröpfelte. Die Gestalt indes war fort, so ganz und gar, als habe Finn sich in seiner Anspannung von den eigenen Augen zum Narren halten lassen.
    Aber das Gesicht, der Bart, die fellbesetzte Kleidung   – Finn hatte ihn gesehen!
    Also versteckte der Dir sich. Nur wo?
    An der Stelle, an der eben noch das rote Leder des Helms geglänzt hatte, tastete ein weiterer einsamer Sonnenstrahl durch die allmählich weichende

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