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Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Brief: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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dieser war so einer, so viel stand fest.
    Dann suchte er einen Ort, an dem das Wasser trinkbarer war als an dem Anleger mit seinem feinen Schlick. Er fand ihn nicht weit entfernt am Auslauf eines kleinen Baches, der oberhalb des Grabens in die Mürmel floss. Finn hegte bei näherem Beschauen sogar den Verdacht, dass seine jetzige Mündung durch geschickten Spatenstich um einige Klafter flussaufwärts verlegt worden war   – mit ziemlicher Sicherheit war der Mühlradgraben mit seinem Werder in Wirklichkeit gar kein Graben, sondern der ehemalige Lauf des ursprünglichen Baches gewesen, der nach und nach eine gebogene Landzunge angeschwemmt hatte. Der Schmied hatte die Form des Ufers für seine Zwecke zu nutzen verstanden. Der klare Bach sprang über ein paar kleinere Steine, doch seine Mitte war sandig, und Finn brauchte sich nur niederzubeugen, um die Flasche bis an den Rand mit klarstem Wasser zu befüllen.
    Dann stand er einfach da und starrte stumm über den Fluss.
    Er versuchte die Stelle zu erkennen, an der sie in der Nacht angelegt hatten, um zu Fuß in die Marschwiesen zu gelangen, aber die Bäume standen zu dicht, es gab der Uferkrümmungen zu viele, und der Nebel weiter den Fluss entlang tat sein Übriges.
    Aber irgendwo dort vorn, dachte er, irgendwo nahe der Galim , unter Asche und Schlamm, liegt immer noch Glimfáins Axt. Und auch wenn er nichts davon sagte, so wird sie gewiss so wertvoll sein, wie es Maúrgin ist; oder noch weitaus mehr.
    »Eine Dwargenarbeit«, murmelte Finn. »Von kundiger Hand geschmiedet und in wer weiß wie vielen Schlachten ruhmreich getragen. Jemand wird gehen müssen, um sie zu holen.«
    Finn warf einen nachdenklichen Blick nach Osten.
    Der Streif aus rosafarbenem Himmel war angewachsen und breiter geworden, und eine erste Ahnung von Gelb mischte sich darunter. Nicht mehr lange, und die Sonne würde die Kante des Sturzes erklimmen und ihr Licht über die Mürmelauen ergießen.
    Wenn ich Guan Lu wäre, überlegte Finn, würde ich spätestens dann mit meiner Suche nach der Gilwe beginnen, wenn die Schatten waagerecht und lang sind und ein jedes Ding die Sonnenstrahlen in besonderer Weise einfängt.
    Und was dann? Der Ledir war nicht blind.
    »Er wird die Axt schnell finden«, setzte Finn sein Selbstgespräch fort. »Selbst wenn sie halbverborgen unter Büscheln von Riedgras liegt.«
    Er würde, bei der Barke beginnend, in langsamen Kreisen durch die Auen streifen, nach verbrannten Leichnamen suchend, bei denen er die Gilwe vermutete, nach welcher er eigentlich suchte. Er musste über die Axt stolpern, früher oder später. Und er würde nach Toten Ausschau halten   – und keine finden, so sehr er auch suchte, noch nicht einmal deren verkohlte Knochenreste. Dazu würde er sich seinen Teil denken. Und eine von drei Entscheidungen treffen, erkannte Finn, als er sich dies alles lebhaft vorstellte.
    Die eine wäre, die Axt zu lassen, wo sie gerade war. Sie konnte Ballast für ihn sein, ein unnützes Stück Metall aus Feindeshand, das er verachtete und verschmähte.
    Die nächste wäre, sie an sich zu nehmen: als ein Stück Beute, als Unterpfand, als Zeichen seines Sieges.
    Die dritte wäre, sie ebenfalls zu belassen, wo sie sich befand: aber gedacht als heimlicher Köder für Glimfáin, der, so er noch lebte, seine Axt gewiss nicht im Felde zurücklassen würde. In diesem Fall würde ihm der Ledir nahe der Windbarke einen Hinterhalt legen.
    Es gab sogar noch eine entferntere vierte Möglichkeit, wurde Finn bewusst: Der Ledir mochte die Axt an sich nehmen, um sie bei passender Gelegenheit als Lösegeld für die Gilwe anzubieten.Wenn er die Dwarge gut kannte, war ihm auch die Güte ihrer Schmiedearbeiten vertraut, und er würde den Wert der Axt zweifellos erkennen können und dies in irgendeiner Form für seine Zwecke zu nutzen suchen.
    Alle diese Folgerungen wurden Finn schlagartig klar, während er aufs Wasser hinausschaute und dabei dem wieder aufgetauchten Haubentaucherpärchen zusah, das mal über, mal unter dem Wasser in der Mürmel gründelte.
    Er begann sich zu schelten, weil er diese Überlegungen nicht schon in der Nacht angestellt hatte. Vielleicht wäre es ihm mit ein wenig mehr Mühe doch möglich gewesen, die Dwargenaxt selbst in der Dunkelheit zu finden.
    Jetzt war es zu spät dafür. Jetzt stand Glimfáin ein weiterer herber Verlust bevor, oder Schlimmeres in seiner Folge; und Finn fürchtete, dass dies allein sein eigener Fehler war. Jetzt ist es zu spät, dachte er

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