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Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Brief: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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  – wie ein Sack Mehl mit einem Riss, aus dem es rieselte.
    Er schlief schon, noch ehe Frau Rana hinzueilte, um ihn aufzufangen; sein Kopf rollte zur Seite, und hätte sie ihn nicht gehalten, wäre er vollständig von der Plattform gerutscht und abermals in die schwarzen Wasser eines Tümpels gefallen.
    Als Finn zu sich kam, war ihm erneut, als erwache er aus einem langen, unangenehmen Traum. Nur blickte er zu seinem Erstaunen diesmal durch ein Fenster, hinaus auf einen Teich. Die Sonne schien fast senkrecht herab; ihre flirrenden Strahlen kämpften sich durch das dichte Geäst, das sich über der Wasserfläche wölbte. Seltsame Spiegelungen, die der Tümpel zurückwarf, tanzten an der niedrigen Bretterdecke über seinem Kopf.
    Wo war er? Und wieso tat ihm alles weh?
    Sein pochender Kopf lag in einem weichen, wenn auch streng riechenden und leicht muffigen Kissen. Zuerst glaubte er, er seiüber lange Zeit krank gewesen und habe in einem Fieber gelegen, was den durchweichten Bezug erklärt hätte. Oder hatte er vielleicht nur etwas Verdorbenes gegessen und daher im Schlaf geschwitzt?
    Er meinte, sich an ein furchtbar tiefes Fallen zu entsinnen, und schüttelte sich. Dann erinnerte er sich an Vogelschwingen, ein verstörendes Bild, das umso mehr verblasste, je dringender er es sich ins Gedächtnis zu rufen suchte.
    Hatte er vielleicht vom Sturz geträumt und von den Adlern, die dort horsteten? Aber da entdeckte er, dass er in einem fremden Bett lag, in einer unbekannten Kammer, durch deren offenes Fenster die Geräusche des Sumpfes drangen   – und alles fiel ihm schlagartig wieder ein: Glimfáins Axt, der Criarg, der Flug, die Rohrammers, die einsame Hütte im Bruchwald.
    »Frau Rana? Herr Ridibund?«, fragte er dann laut, was eindeutig zu laut war, denn wie ein Blitz zuckte es sogleich durch seinen Schädel. Er stöhnte leise und wagte nur noch ein Flüstern. »Ist da jemand? Und wie spät ist es?«
    »Ich bin hier, mein Junge«, antwortete eine weibliche Stimme aus einem Nebenraum. Ein wuscheliger Schopf ergrauender Haare zeigte sich an einer Tür neben dem Bett.
    Da war die Mutter von Wigo und Buffo, und sie blies über einen Kochlöffel, ehe sie von ihm kostete. »Aah, heiß und gut! Und es ist gleich Mittag, wie du dir denken kannst. Steh auf, wenn du es vermagst. Was du da riechst, ist fertige Suppe. Also, hopp, schnell aufgestanden jetzt! Ich habe dir Sachen von meinen Söhnen hingelegt; du kannst sie uns wiedergeben, sobald du sie nicht mehr brauchst.« Sprach’s und schloss die knarrende Tür.
    Finn stellte fest, dass er in seiner Ohnmacht gewaschen worden war. Danach hatte man ihn in ein altes, fadenscheiniges Nachthemd gesteckt. Als er es auszog, sah er darunter etliche Verbände und an noch mehr Stellen klebende Wundpflaster, die seine Knie und Ellenbogen und Waden und Schultern und wer weiß nicht was noch alles bedeckten. Dazwischen schimmerte seine Haut inallen möglichen Grün- und Blautönen, und unter den schlimmsten von ihnen zeigten sich dunkelrote Schwellungen, über denen es schmerzhaft spannte. Jede Bewegung tat ihm weh.
    »Schnell aufgestanden jetzt«, ahmte er sie nach. »Aber natürlich, Frau Rana. Also hopp! Ha! Ich möchte dich mal sehen, nachdem du durch einen Baum gesprungen bist!« Der Gedanke reizte ihn zum Lächeln, und sogleich begann seine Stirnbeule zu pochen; ein lautes Lachen, fürchtete er, würde er in diesem Zustand nicht überstehen.
    Er fand die frischen Sachen auf einem Stuhl. Während er sich in zu lange Hosenbeine schob und in ein viel zu breites Hemd wickelte, entdeckte er seine noch nassen, aber immerhin gereinigten Stiefel unter dem Bett.
    Anschließend trat er mit umgekrempelten Ärmeln und Hosenumschlägen aus der Kammer und schaute in vier Gesichter, die vom Essen im Hauptraum der Hütte aufsahen und ihm erwartungsvoll entgegenblickten.
    Es gab noch andere Türen, die zu weiteren Räumlichkeiten führten, wie er jetzt sah, und Finn erkannte, dass die Hütte bedeutend größer war, als er zunächst angenommen hatte. Jenseits des offenen Fensters erblickte er einen Zaun, der eine Art Gehege umschloss. Gitterkisten und Flechtkörbe stapelten sich vor seinen Latten.
    Fragen über Fragen drängten sich ihm auf.
    Für den Moment aber trat er nur verlegen vor die Rohrammers hin, und der Gedanke, wer ihn denn wohl gewaschen und ihn in das Nachthemd gesteckt hatte, färbte seine Wangen puterrot. Aber da war nichts als gesunde Neugier, die ihm entgegengebracht wurde; ein

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