Der verlorene Brief: Roman (German Edition)
Moorreet vom Rat zu berichten.«
»Warte mal mit deinen Wegen.« Ridibunds Augen glitzerten vor verhaltenem Zorn. Der Griesgram in ihm behielt eindeutig die Oberhand. »Wer soll das denn sein, bitte sehr? Sie? Die junge Frau? Wir haben keine Verwandten!«
»Na ja, eine entfernte Verwandte ist sie, glaube ich. Eine Tallia Goldammer.«
»Goldammer?« Ridibund schrie es fast und sprang wutschnaubend auf. »Wir haben mit den Goldammers nichts mehr zu schaffen! Wir kennen keine Goldammers mehr! Großbrada-Goldammers! Ha! Mechellinder Geschmeiß sind sie! Pah!«
Frau Rana zuckte zusammen. »Ridibund!«
»Pah, sage ich. Ist doch wahr! Zeigen nur mit dem Finger auf uns. Sind sich zu fein mit ihren Webstühlen und ihren ach so feinen Tüchern und allem. Ach, ich könnte …« Er verstummte, weil er sich am Rauch verschluckte. In sein bellendes Husten hinein sagte Finn:
»Warte, Herr Ridibund. Tallia stammt nicht aus Mechellinde, sondern aus Vahindema. Sie ist im Obergau nur zu Besuch. Erst hier hat sie von euch erfahren und wollte euch sogleich besuchen.«
»Na siehst du«, sagte Frau Rana.
»Gar nichts sehe ich!«, bellte Ridibund zurück. »Und weiter?
»Ich weiß nicht«, sagte Finn beschwichtigend. »Was immer auch für ein Streit zwischen den Goldammers und euch herrscht, aber ich bin sicher, Tallia hat damit nichts zu tun.«
»Tschuldigung«, sagte da der alte Vahit. »Mir kocht immer die Seele über, sobald ich an gewisse Goldammers denke. Brrr! Tut mir leid, mein Junge. Du bist dabei aus Versehen sozusagen in meinen Topf geraten.«
»Angenommen«, lächelte Finn.
»Also weiter«, verlangte Ridibund, besänftigt, aber nicht weniger wissbegierig. »Ihr wart also auf dem Weg. Was ist dann passiert? Etwas muss doch …«
»Ja, es ist etwas geschehen. Ein Feuer brach aus. Es gab einen Verletzten. Einen … na ja, einen Schmied, der bei Abhro zu Besuch ist. Böse Brandwunden gab’s an den Beinen. Tallia ist dort geblieben und pflegt ihn. Aber Abhros Froschsalbe ging zur Neige, und ich …«
»Und da bist du allein in den Sumpf gegangen, um nach uns zu suchen, nicht wahr?«
Frau Ranas Zwischenruf kam Finn mehr als nur gelegen. So kam er darum herum, eine Menge Einzelheiten über Gidrogs und Criargs und vor allem über seinen törichten Ritt auf dem Vogel erzählen zu müssen.
»Um es kurz zu machen – so in etwa war es«, erwiderte er stattdessen.
»Na ja«, machte Ridibund. »Immerhin erklärt es, wo du die ganze Zeit gesteckt hast. Warst mit ’nem Mädchen zusammen. Na schön. Auch wenn es eine Goldammer ist. Obwohl du dich besser beeilt hättest bei deiner Liebelei. In eurer Werkstatt gehendie wildesten Gerüchte um. Sie vermissen dich seit gut einer Woche, glaube ich. Und irgendetwas Schlimmes ist da geschehen, hab ich gehört.«
»Was soll denn geschehen sein? Und von wem hast du’s gehört?«
»Von Konkho Zeisig. Manchmal hebt er einen Henkel zu viel, und am Morgen danach hat er einen Brummschädel. Er kauft von uns ein Pulver dagegen. Unter der Hand natürlich, er will ja nicht, dass jemand denkt, sein Bier sei schlecht. Was es nicht ist, nebenbei gesagt, obwohl es natürlich bessere gibt. Meins zum Beispiel. Erst gestern Abend sprach ich mit ihm.«
Wenn Ridibund es von Konkho weiß, hat der es von Abbado, zählte Finn in Gedanken eins und eins zusammen. »Was ist denn nun passiert?«
Ridibund wedelte den Qualm beiseite und sagte mürrisch: »Ist wohl was mit der Post gekommen. Schlimme Nachrichten oder so. Mehr weiß ich nicht.«
»Nicht schon wieder!«, entfuhr es Finn.
»Schon wieder?«, fragte Ridibund misstrauisch.
»Na ja, alles begann mit einem Brief … aber das führt jetzt viel zu weit.« Er sprang auf und verbeugte sich artig vor Frau Rana. »Entschuldige bitte meine unhöfliche Eile. Ich muss jetzt noch schneller nach Hause, als ich dachte, was du gewiss verstehen wirst.«
»Aber sicher, Herr Finn«, antwortete sie. »Die Jungs bringen dich sicher zurück. Es war nett, dich als Gast zu haben. Grüße deine Mutter von mir. Ihr Tee war gut. Und warte, die Froschsalbe für Herrn Abhro!«
Sie stand gleichfalls auf, ging in den Nebenraum und und kam aus der Küche mit einem Henkelnapf zurück, der mit Binsengeflecht fest verschlossen war. »Sie ist noch warm«, erklärte sie. »Sag Tallia, sie soll sie erst verstreichen, wenn sie ausgekühlt ist. Und grüße bitte auch das Mädchen von mir. Sag ihr, sie ist uns willkommen. Jederzeit, nicht wahr,
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