Der verlorene Brief: Roman (German Edition)
Interesse, das selbst Ridibund nicht völlig hinter seiner Griesgrämigkeit verbergen konnte.
Geschirrgeklapper erfüllte den Raum, dazu umschmeichelte ein köstlicher Duft seine Nase, der Finn das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ. Der Magen des jungen Vahit knurrte hörbar.
Die Rohrammers saßen zu Tisch über dampfenden Schalen, und auch Finn wurde herangewunken und nahm auf einer der beiden Bänke Platz. Ein Löffel wurde ihm in die Hand gedrückt, eine bis zum Rand gefüllte Schüssel vor ihn hingeschoben.
»Erst essen, dann reden«, brummte Ridibund. Finn ließ sich das nicht zweimal sagen. Frau Rana reichte Brot herum zum Eintunken, und es gab dünnes Bier aus einem mächtigen Krug. Buffo und Wigo tuschelten miteinander, während Finn die zweite Schale leerte. Selten hatte er etwas Leckereres gegessen, zumindest kam es ihm so vor; aber es mochte auch an seinem unbändigen Hunger liegen, dass er auch die dritte Schale nicht verschmähte, die Frau Rana ihm füllte. Die Suppe war dickflüssig und fast schon ein Brei, aber sie mundete ihm vorzüglich, ohne dass er zu sagen vermocht hätte, aus welchen Zutaten sie tatsächlich bestand.
Endlich war er gesättigt und legte den Löffel beiseite. Er murmelte ein stoßseufzendes »Großartig, vielen Dank!«; aber noch immer kitzelte ihn sein Gaumen, und er nutzte sogar sein letztes Stückchen Brot, um auch noch die Reste der Suppe aufzustippen.
»Aah, das war wirklich gut!«, sagte er schließlich voller Inbrunst, »Und es kam wahrhaftig zu rechten Zeit! Wenn ihr wüsstet! Meine letzte Mahlzeit hatte ich irgendwann gestern Mittag.«
Er sah die vier Vahits in ihrer Hütte zufrieden nicken und lächelte zurück. Der alte Ridibund entzündete umständlich sein Pfeifchen und blickte ihn aufmerksam an. Jetzt, dachte Finn, kommt der schwierigere Teil. Er würde sich erklären müssen. Eine verständliche Antwort finden auf das, was ihn hierher verschlagen hatte.
»Ihr habt mir das Leben gerettet«, begann er zögerlich. »Und ich weiß nicht, wie ich euch dafür danken soll, außer mich zu wiederholen: Vielen Dank euch allen. Und das meine ich ernst. Ihr habt eine Menge Fragen an mich, das kann ich sehen. Doch habt Geduld mit mir. Ich weiß nicht einmal, was genau geschehen ist. Wie kam es, dass ihr rechtzeitig an Ort und Stelle wart? Was macht ihr hier? Mitten im Sumpf, meine ich?«
Ridibund paffte nachdenklich und hüllte sich in ein Wolkengebirge aus Qualm. »Hm. Ha. Wie wir an Ort und Stelle kamen, willst du wissen. Na, wir waren schon dort, bevor du dich vom Baum stürztest, würde ich mal sagen. Auch wenn andere anderes behaupten: Wir sind anständige Vahits. Wir gehen hier unserer Arbeit nach. Wir kochen den Sud, überprüfen die Fallen, häuten und schälen, zimmern Kisten, legen manchmal Wege an, wenn nötig. Die meiste Arbeit besteht aus Rühren. Das ist’s, was wir tun, Herr Finn. Eben alles, was zu einer Fröschnerey gehört.«
»Zu einer …?« Finn hatte den Ausdruck noch nie zuvor gehört.
»Na ja, so nennen wir es. Du könntest auch Froschzucht dazu sagen.«
»Ihr züchtet demnach Frösche?«
Wigo und Buffo grinsten.
»Nee, wir fangen sie. Wir wissen, wo sie laichen.«
»Kennen ihre Lieblingsplätze.«
»Manchmal müssen wir weite Strecken gehen. Je nachdem, welche Froschart Mutter gerade braucht.«
»Sie kocht sie.«
»Macht Salben draus.«
»Und Tränke.«
»Und anderes Zeug.«
»Schmeckt nicht immer gut. Stinkt meistens. Hilft aber immer.«
»Alles in allem ist’s ’ne ziemlich glitschige Angelegenheit. Nichts für heimelig geborene Vahits.«
Wigo und Buffo hatten abwechselnd gesprochen und feixten nun über Finns verwirrte Miene.
»Ich wusste bis gestern nicht, dass du Froschsalbe herstellst«, sagte Finn, an Frau Rana gewandt, und überhörte die Spitze. »Herr Abhro lobte deine, hrm, Kunst. Er braucht übrigens Nachschub von deiner Salbe.«
»Das erwähntest du bereits«, erwiderte sie. »Sie steht schon aufdem Feuer. Und es ist eine Kunst, wenn auch eine anrüchige, wie ich gern zugeben will. Nicht alle Nasen mögen es. Deshalb haben wir die Fröschnerey gleich hierher in den Sumpf verlegt. Da stören die Dämpfe niemanden.«
»Ich verstehe«, meinte Finn, obwohl er in Wahrheit nur wenig verstand. »Das erklärt die abgelegene Hütte. Äh – und du verkaufst die fertige Froschsalbe an Abhro?«
Frau Rana lachte. »Nein. Das heißt: Ja. Aber nicht nur an ihn. Und nicht nur die Heilpaste gegen Verbrennungen. Ich
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