Der verlorene Brief: Roman (German Edition)
immer gewesen. Und so würde es immer sein. Es war ihr Schicksal; das ihrerseits wussten die Raben.
6. KAPITEL
Der geteilte Schlüssel
U M DEN K USS DES Paares nicht zu stören, führte Mellow Smod und Vanku beiseite und band sie unweit der anderen Ponys fest, die bei dem Einspänner von Frau Amagata vor dem Wohnhaus standen. Gwaeth knusperte unbekümmert an ein paar Zweigen. Zwei gesattelte Tiere warteten neben ihm, die Finn nicht gekannt hätte, selbst wenn er sie beachtet hätte.
Eben löste er sich von Tallia und wollte gerade das Wort an sie richten, da stürzte Abhro Rabner polternd aus seiner Schmiede und bereitete aller Zweisamkeit im Hof ein Ende.
»Bei meiner Zange!«, belferte er.
Finn und Tallia fuhren auseinander.
»Was machst du bloß für Sachen? Läufst einfach fort und sagst kein Wort. Lässt uns hier zurück mit deinen Nöten. Beim Ansehen deines Vater, Herr Finn! Deinetwegen habe ich mir die Nacht um die Ohren geschlagen, um einen Fremden aus dem Llaidh zu holen. Deinetwegen hat er in meiner Scheune eine Herberge gefunden und verschmiert meine Decken mit seinem Blut. Und damit nich’ genug! Dann schleppt mir auch noch deine, äh, diese …«
Er besann sich rechtzeitig und fuhr etwas gedämpfter fort: »Verzeihung. Ich wollte sagen – dann schleppt mir Fräulein Tallia auch noch einen leibhaftigen Menschen mit an und bringt obendrein gleich drei Lausejungen mit, die behaupten, Helvogte zu sein. Helvogte , du meine Güte! Hat man das schon erlebt? Wann hat’s den letzten Helvogt gegeben hierzulande?«
Vor Finns Gesicht verschmolzen die erregten Gesten desSchmieds zu einem Wirrwarr aus flatternden Händen, so flugs folgten bebend erhobener Zeigefinger, erschöpftes Abwinken und eine in den Handteller hämmernde Faust aufeinander. Es ging Schlag auf Schlag, und Abhro war noch lange nicht fertig.
»Und dann schau sie dir an! Jungspunde sind’s, alle drei. Stolzieren mit noch nie gesehenen Bändern an ihren Hüten herum. Ständig heißt es, Abhro, hol dies, Abhro, mach das! Denn der Herr Abhro hat ja sonst nichts zu tun! Stets zu Diensten! Der Dir ist auch nicht besser, nein schlimmer, wie ich wohl sagen sollte. Für ihn darf ich Steine kochen in meiner Esse. Ja, du liebe Güte! Steine kochen! Obwohl ich längst beim Bürgermeister in Mechellinde sein sollte. Falls du deine eigene Botschaft nicht vergessen hast. Ich hab gar nich’ so viele Haare, wie ich raufen möchte. Seitdem du gestern hereingeschneit bist, steht alles kopfüber. Und überhaupt: Wo hast du denn die ganze Zeit gesteckt?«
Finn hatte den Wortschwall des Schmiedes erst verständnislos, dann lächelnd über sich ergehen lassen; obwohl er schmunzelte, musste er dem Alten im Stillen Recht geben. Völlig haltlos waren Abhros Vorwürfe nicht.
Gleichwohl und gespielt gleichgültig antwortete er: »Wo ich steckte? Froschsalbe holen. Was dachtest du denn?« Finn zuckte die Schultern ob des offensichtlichen Unverständnisses des Schmiedes. Er nestelte den Napf mit seinem Binsendeckel vom Sattel, drückte das Gefäß dem sprachlosen Schmied in die Hand und sagte: »Hier, für dich. Geliefert und schon bezahlt. Stets zu deinen Diensten.« Damit ließ er den Verblüfften stehen.
Er legte den Arm um Tallias Schulter und zog sie mit sich zur Scheune. Mellow, der schweigend neben ihnen gestanden hatte, folgte ihnen hinterdrein. Er biss vor Lachen in seine Faust und schloss die Tür.
In Finns Abwesenheit hatte eine Schar hilfreicher Hände Glimfáins notdürftiges Lager hergerichtet und es in eine zwar den Umständen entsprechende, dafür beinahe gemütlich zu nennende Unterkunft verwandelt.
Das in mehrere Deckenlagen eingeschlagene Stroh der Bettstatt erinnerte nun erst wirklich an ein Bett, und eine reichliche Zahl Kissen stützten Glimfáins aufgerichteten Rücken. Ein kleines Schränkchen war leergeräumt und an das Kopfende gestellt worden: Eine Waschschüssel stand darauf, samt Handtüchern und Seife.
Ein Kesseldreibein und ein daraufgelegter Fassdeckel hatten einen niedrigen Tisch ergeben, auf dem sich benutztes Geschirr stapelte; offenbar aß und trank der Dwarg, was Finn erleichterte. Schließlich war das ein Zeichen seiner Besserung. Der vom Dreibein genommene Kessel stand am Fußende und enthielt schmutzige Verbände.
Glimfáin selbst sah ebenfalls merklich besser aus – zumindest als Finn es vom frühen Morgen her in Erinnerung hatte; aufgerichtet und in seinem Berg aus Kissen ruhend wirkte er weit weniger
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