Der verlorene Brief: Roman (German Edition)
für etwas gesucht und hielte ihn nun anklagend in seinen Händen.
»Nemandáur!« , rief Glimfáin im selben Moment. In seinem Antlitz spiegelten sich Freude und maßloses Erstaunen. Seine tiefe Stimme übertönte spielend die der Vahitschmiede. »So ist sie gerettet! Mein Flehen wurde demnach erhört!«
»Dann ist das da deine Axt?« Abhro flüsterte jetzt beinahe. Mit vor Fassungslosigkeit bebenden Fäusten stand er vor dem Bett und drehte den Stiel wie ratlos hin und her. Er ging dabei mit der schweren Waffe um, als wöge sie nichts.
Franan ließ auf Circendils Wink hin den heißen Stein vorsichtig in das Becken auf dem Gestell gleiten, was ein abermaliges Zischen und eine Dampfwolke auslöste. Die wohlriechende Feuchtigkeit stieg in ihrer aller Nasen und legte sich sogleich wie Balsam auf die erregten Gemüter der Vahits.
»Ja. Und sei bitte vorsichtig und fuchtele nicht so herum damit, sie ist scharf. Wo hast du sie gefunden?«
»Gefunden?« Für einen Moment brachte das Abhro aus der Fahrt. »Wie? Ach so. Ja. Gefunden. Sie hing an Herrn Finns Sattel. Wenn du das finden nennst. Hier ist sie. Aber sag mir, wie kann das sein? Ich meine, wie könnt ihr ein solches Ding schmieden? Was ist das für ein Metall? Im ganzen Hüggelland gibt’s nichts dergleichen, oder ich wüsste es! Du meine Güte! Wie kann eine Axt dieser Größe so hart und doch so leicht sein? Wie geht das, Herr Dwarg? Was ist das für ein Eisen? Wenn’s nicht gar gleich Zauberwerk ist, wie Franan felsenfest glaubt?«
»Leicht?«, entfuhr es Finn, auf den niemand mehr achtete. Er hatte die Schwere der Axt schmerzhaft auf seinen Schulter gespürt, und nicht nur das – ihr Gewicht hätte ihn fast in einenSumpf gezogen, und er wäre um ein Haar ertrunken. Dann fiel sein Blick auf Abhros breites Kreuz und die schwellenden Oberarme, und er verstand.
»Allerdings«, ereiferte sich Abhro. »Bei allem, was Recht ist! Viel zu leicht ist sie! Wär sie aus Eisen, könnte ich sie kaum heben.«
»Da sagst du was«, murmelte Finn und rieb seine Schulter. Mellow grinste.
»Es ist eben eine Dwargenaxt.« Entweder Circendils ruhige Sprechweise oder die Dämpfe aus dem Kohlebecken wirkten besänftigend. »Und das bedeutet, sie stammt aus einer der besten Werkstätten, die es in Kringerde gab und gibt. Sie besteht eben nicht aus dem einfachen Eisen, auf das ihr auf eurem Amboss einhämmert, Abhro. Die Dwarge kennen seit undenklichen Zeiten viele Wege, das Erz der Erde nach ihrem Willen zu wandeln und zu formen. Diese höchst kostbare Arbeit besteht aus …«
»Aus Imilthyldum «, sagte Glimfáin stolz und blickte in ratlose Gesichter. »Es ist ein uraltes Geheimnis unseres Volkes. Huorhm, ja. Rohes Eisen? Das rostet und bricht? Über uns Gidwargim lässt sich vieles sagen, aber nicht, wir wären Toren. Wir veredeln die Erze Naubrimirs mit Zugaben zu etwas gänzlich Neuem; und wir schmelzen sie in blauen Feuern, die heißer sind als alles, was ihr euch nur vorstellen könnt. Es ist kein Zauberwerk, das nicht; dennoch ist es eine hohe Kunst.
Ein Imilthyldum-Schwert, von einem Wahren Meister gefertigt, ist unvergleichlich. Es schneidet durch einen dicken Holzbalken so leicht wie durch einen reifen Kürbis. Und es ist nahezu unvergänglich. Weder Rost noch Säure, weder Kälte noch einfaches Feuer können Imilthyldum schaden. Auch Maúrgin, die Klinge, die ich Finn schenkte, hat eine solche Klinge. Mit Nemandáur könnte ich leicht einen Felsen spalten, und doch bliebe keine Scharte an ihrem Blatt zurück. Ihr ahnt gar nicht, wie erleichtert ich bin, sie wieder bei mir zu wissen.
Im Feuer …«, sein Blick verdüsterte sich, »… im Feuer vonUlúrcrum verwirrten sich meine Sinne, und ich wusste kaum, was ich tat. Ich warf die Axt in meiner Not, weil ich glaubte, Guan Lu vor mir zu sehen. Für einen Lidschlag war er da! Zu weit entfernt für einen Hieb, aber nah genug für einen gezielten Wurf. Aber ach! Es war nur ein Trugbild. Oder der Rauch, der meine Augen narrte. Vielleicht wünschte ich mir auch nur, ihn vor mir zu sehen … der Schmerz … Meine Beine standen in Flammen, wie ihr wisst. Der Wurf war ein Fehler. Ein nicht wieder gutzumachender obendrein.
Später vergaß ich die Axt in meinem Fieber, was ein weiterer, schier unverzeihlicher Fehler war. Längst hätte ich mich um Nemandáur kümmern, nach ihr suchen lassen sollen. Aber als ich es endlich zur Sprache bringen wollte, war es zur Unzeit. In der allgemeinen Sorge um Finn
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