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Der verlorene Sohn von Tibet

Der verlorene Sohn von Tibet

Titel: Der verlorene Sohn von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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begannen stets mit der gleichen formellen Floskel und schilderten bevorstehende Truppenbewegungen, Gerüchte über ausländische Agenten und Neuigkeiten über Ernteerträge, Karawanen und das Wetter. Die meisten endeten mit einem Ausdruck der Zuneigung, manche mit Gedichten, andere mit kleinen Tintenzeichnungen: eine Reihe zeremonieller Kopfbedeckungen, wie sie in buddhistischen Ritualen üblich waren. Ein Yak im Profil. Der Potala-Palast in Lhasa. Die vordere Bergkette des Himalaja, von Norden gesehen. Eine alte runzlige Hand, die eine mala hielt. Es waren nur schlichte Skizzen, aber sie besaßen eine naive Anmut.
    »Ah!« sagte Yao plötzlich. Shan folgte seinem ausgestreckten Finger zu der Stelle, an der sich bei den anderen Briefen die Inventarnummer befunden hatte. Diesmal waren die Angaben etwas ausführlicher. Sammlung Qing-Dynastie stand dort. Persönliche Korrespondenz von Kaiser Qian Long. Demnach interessierte Ming sich insgeheim für die mehr als zweihundert Jahre alten Botschaften, die Prinz Kwan Li seinem kaiserlichen Onkel nach Peking geschickt hatte.
    »Wir müssen die Briefe lesen«, beharrte Shan. »In ihnen liegt eventuell die Antwort versteckt, das fehlende Bindeglied.«
    »Dazu bleibt keine Zeit«, protestierte Yao, drückte eine Taste und rief dadurch weitere Briefe auf, bis er die letzte Datei erreichte, deren Datum erst drei Wochen zurücklag. Er fluchte leise. Dieses letzte Dokument war als einziges verschlüsselt. Sie konnten es nicht lesen.
    Shan lief zu einem Aktenschrank an der Rückwand des Raums und durchsuchte rasch die Schubladen. Im dritten Fach lag zwischen Bleistiften und Büroklammern eine Diskette. Er nahm sie und steckte sie in Mings Schachtel. Die aktuelle Diskette aus dem Laufwerk des Computers verstaute er in seiner Jackentasche.
    Yao zückte seinen Notizblock und fing an zu schreiben. Shan ging unterdessen zu einem zweiten Computer, der über ein Modem mit der Telefonleitung verbunden war, und setzte sich an die Tastatur. Nach weniger als einer Minute erblickte er auf dem Bildschirm ein rotweißblaues Emblem.
    »Was machen Sie da?« keuchte Yao hinter ihm.
    »Corbett hat mir seinen Zugriffscode verraten. Er wollte, daß ich einige Fragen an sein Team weiterleite.« Ein Schriftzug erschien auf dem Monitor: The Federal Bureau of Investigation. Shan befand sich nun im internen Netzwerk des FBI.
    »Zu welchem Thema?« fragte Yao barsch.
    »Lodi. Und Dolan.«
    »Sie begehen damit eine Straftat.«
    »Ich bin bloß Corbetts verlängerter Arm.«
    »Er könnte für die Weitergabe des Codes gefeuert werden.«
    »Was nur unterstreicht, für wie wichtig er diese Fragen hält.« Shan gab ein weiteres Paßwort ein und erhielt Zugang zu Corbetts elektronischem Postfach.
    »Welche Fragen?«
    Shan brauchte keinen Blick auf die Liste zu werfen, die der Amerikaner ihm gegeben hatte, denn er kannte sie inzwischen auswendig. Als den Empfänger der Nachricht trug Shan den Namen Bailey ein. Dann fing er an zu schreiben: Wann hat Dolan während der letzten zehn Jahre China besucht? In welcher Beziehung steht Dolan zu William Lodi und zu Direktor Ming vom Museum für Altertümer? Auf welchen Expeditionen hat Dolan den Direktor in China begleitet? Gab es eine Geschäftsbeziehung zwischen Dolan und Elizabeth McDowell, einer britischen Staatsbürgerin?
    »Dolan war das Opfer des Verbrechens«, merkte Yao an.
    Shan hielt inne und musterte den Inspektor. »Dolan ist mitMing und McDowell befreundet«, sagte er. Dann zeigte er Yao die Fotos, die er bei Lodis Habseligkeiten gefunden hatte.
    »Warum haben Sie mir das bis jetzt verschwiegen?«
    »Weil Sie durch dieses Wissen in Gefahr geraten könnten.«
    »Lächerlich. Ich unterstehe direkt dem Ministerrat.«
    »Mal angenommen, Dolan hat herausgefunden, daß Ming und Lodi hinter dem Diebstahl seiner Sammlung stecken. Was wäre, falls er den Ministerrat gebeten hätte, Sie nach Lhadrung zu schicken, um auf diese Weise Ming und Lodi unter Druck zu setzen?«
    »Unmöglich.«
    »Dolan ist ein wichtiger Gönner des chinesischen Kulturbetriebs. Und ein bedeutender ausländischer Investor.«
    Die zornige Miene des Inspektors entspannte sich ein wenig; er schaute zu Mings Diskettenbox.
    Shan schrieb weiter und fügte einige Punkte an, die nicht auf Corbetts Liste standen: Stellen Sie fest, ob Elizabeth McDowell zu den Passagieren eines der Flüge gehört hat, mit denen William Lodi von Seattle nach Lhasa gelangt ist. Wurde Lodis Flug von Peking nach Lhasa im voraus

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