Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der verlorene Sohn von Tibet

Der verlorene Sohn von Tibet

Titel: Der verlorene Sohn von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
Vom Netzwerk:
Bein mit fünf Klauen. »Es ist jahrhundertealt. Aus der Qing-Dynastie. Und das hier wurde ebenfalls dort gefunden. Es stammt von den damaligen Reaktionären und hat zweihundert Jahre in seinem Versteck gelegen.« Sie nahm ein altes Stück Reispapier. »Es beseitigt alle Zweifel.«
    Doch Shan hatte dieses Gewand erst am Vortag in Fionas Haus gesehen. Und in Yaos Zimmer lag ein ähnliches Stück Reispapier, das Liya ihnen gegeben hatte. Die Frau hier vor ihnen besaß eine weitere der gedruckten Bekanntmachungen, als hätten die Leute in Lhadrung sie vor zweihundert Jahren eingesammelt und aus irgendeinem Grund verwahrt. Yao deutete auf zwei handschriftliche Zeilen am unteren Rand des Plakats. »Tot, auf Anordnung des Steindrachen-Lama«, las Shan. Die Buchstaben waren verblichen und wohl tatsächlich zweihundert Jahre alt. Das wäre der perfekte Abschluß für die politische Parabel, an der Ming schrieb. Ein hoher Lama hatte den amban getötet, und die Tibeter räumten es sogar weitgehend ein. Shan beugte sich vor, um die zweite Zeile besser erkennen zu können. »Bezwungen in Zetrul Puk«, las er, aber diese Worte sahen längst nicht so alt aus. Jemand hatte den Verweis auf die Wunderhöhle erst kürzlich hinzugefügt.
    »Haben Sie nicht ursprünglich einen Massenmord gemeldet?« fragte Yao.
    Die Frau wies auf die andere Seite des Hügels, wo mehrere Soldaten standen. Yao und Shan gingen zu ihnen hinüber. Die Männer bewachten mehrere Totenschädel und andere Gebeine. In der Nähe hatte man einen zweiten, tieferen Graben ausgehoben und dadurch eine Steinmauer und einen kleinen quadratischen Durchlaß von etwa fünfundsiebzig Zentimetern Höhe freigelegt. Soeben förderte jemand einen weiteren Schädel zutage.
    Der Oberst hatte Ming beiseite genommen und sprach mit ihm. Tans Fäuste waren geballt, und sein Gesicht wirkte verkniffen. Ein Dutzend Soldaten stiegen auf die Ladefläche eines Transporters und fuhren weg.
    Nach einigen Minuten näherte Shan sich so unauffällig wie möglich Tans Wagen und den verbleibenden Fahrzeugen. Yao blieb bei den Gräben zurück und machte sich Notizen. Vielleicht würde es Shan gelingen, sich an Bord eines der abfahrenden Transporter zu schleichen. Er musterte die Gesichter der Soldaten. Womöglich würde ihn der eine oder andere wiedererkennen und sogar gewillt sein, ihm bei der Flucht zu helfen, und sei es nur, weil die Männer wußten, wie sehr seine Anwesenheit den Oberst für gewöhnlich aus der Fassung brachte. Er bemerkte einen Sergeanten mittleren Alters, der ihm mit finsterem Blick zunickte. Doch als Shan den Soldaten ansprechen wollte, legte sich eine Hand um seinen Arm.
    »Wir brauchen Sie noch, Genosse«, warnte eine aalglatte Stimme. Ming.
    »Aber Ihre Arbeit ist getan«, erwiderte Shan nach langem Zögern. »Sie können als Held nach Peking zurückkehren.«
    Ming nickte zufrieden. »Leider wurden meine Diebe noch nicht gefunden, und der Amerikaner sucht weiterhin seinen Mörder. Unsere Pläne haben sich nicht geändert. Die Vorräte stehen heute mittag am Straflager bereit. Es brechen vier Teams in die Berge auf, jeweils mit Wissenschaftlern, Soldaten und Kapos.« Er sah Shan durchdringend an.
    In diesem Punkt waren sie einer Meinung. Shan mußte zurück in die Berge. »Nichts hat sich geändert«, bestätigte er. Nichts und doch alles. Yao und Corbett hatten ihre Verbrecher nicht erwischt, aber nun war es Ming, den Shan am meisten fürchtete.
    Der Direktor sah auf die Uhr. »Hier ist alles unter Kontrolle. Nachdem wir nun wissen, was wir gefunden haben, beginnt der langweilige Teil. Für die Profis«, sagte er mit Blick auf seine weißgeschürzten Assistenten. »Ich fahre jetzt los, um den Aufbruch der Bergteams zu überwachen. Leisten Sie mir unterwegs Gesellschaft?« Er deutete auf seinen Wagen. Als Shan einstieg, sah er Yao bei Tan stehen. Beide Männer starrten ihn an. Ming folgte Shans Blick und winkte den beiden zu.
    »Wie sagen die Leute hier immer?« fragte der Direktor. »Die Götter werden siegreich sein«, rief er Tan und Yao auf Mandarindurch die offene Seitenscheibe zu. »Zittert und gehorcht!« Er lachte und ließ den Motor an.
    »Sehen Sie mal auf dem Rücksitz nach«, sagte Ming, als er mit durchdrehenden Reifen beschleunigte und Erde und Schotter aufspritzen ließ. Hinten auf dem Sitz lag ein weiterer Metallkasten. Shan drehte sich um, öffnete die Schnappriegel und klappte den Deckel auf. Ming kicherte amüsiert. Die untere Hälfte des Kastens war mit

Weitere Kostenlose Bücher