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Der verlorene Sohn von Tibet

Der verlorene Sohn von Tibet

Titel: Der verlorene Sohn von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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weitere Bildschirmseite. Shan drückte eine Taste, und ein Foto wurde sichtbar, das Abbild eines zerrissenen thangka , die obere Hälfte einer blauen Gottheit mit dem entstellten Kopf eines vierhörnigen Stiers. In diesemMoment ertönte wieder der Piepton, und Shan wechselte zu dem FBI-Postfach. Dort stand, Direktor Ming sei mit derselben Maschine wie Lodi nach Lhasa geflogen und mit dem nächstmöglichen Flug nach Peking zurückgekehrt. Während Yao auf einem anderen Computer das Bild des zerrissenen thangka ausdrucken ließ, schrieb Shan eine neue Anfrage: Suchen Sie in den Reiseunterlagen nach Lu Chou Fin und Khan Mo; die beiden sind während des letzten Monats in Tibet eingetroffen.
    Plötzlich näherten sich schwere Stiefelschritte, und die Tür wurde aufgerissen. Ein junger Offizier, einer von Tans Adjutanten, stürmte herein. »Oberst«, drängte er. »Direktor Ming läßt die Truppen ausrücken. Er redet mit Lhasa und Peking. Es heißt, man habe Leichen entdeckt. Tote Chinesen, ein Massaker. Ermordet von Tibetern.« Noch während er sprach, klingelten draußen mehrere Telefone, und auf der Straße ertönte eine Sirene.
    Dreißig Minuten später erreichten sie ein Feld im südlichen Tal und fanden ein chaotisches Durcheinander vor. Ming stand fünfzig Meter entfernt in der Mitte der Freifläche, scheuchte hektisch Arbeiter mit Schaufeln und Eimern umher und ließ Soldaten herbeieilen. Auf der Straße parkten mit blinkenden Einsatzleuchten zwei Wagen der Militärpolizei.
    »Wenn sich das in Lhasa herumspricht, wird es heißen, in Lhadrung sei ein Aufstand ausgebrochen«, bemerkte Tan. Er rief einen Funker und befahl, eine Verbindung zum Armeehauptquartier in Lhasa herzustellen.
    Die Soldaten hatten nicht gewußt, was sie erwarten würde, erkannte Shan. Die meisten trugen Kampfausrüstung, und an ihren Gürteln hingen Granaten. Etwa fünfundzwanzig Mann sicherten ein Quadrat von ungefähr fünfzig Metern Seitenlänge ab, während andere darin soeben ein geräumiges Militärzelt errichteten, das dem Direktor offenbar als Kommandozentrale dienen sollte.
    Aus Richtung des Gästehauses traf ein schwerer Lastwagen ein, und die Soldaten fingen an, unter Aufsicht eines von Mings Assistenten Tische, Stühle und Metallkisten abzuladen. Mingschritt derweil einen Graben ab und erteilte den hastig schaufelnden Männern barsche Befehle. Dazwischen rief er seinen Assistenten aufgeregt etwas zu, posierte für ein Foto, sprang in den Graben und stieg wieder hinaus. Die junge Frau mit den kurzen Haaren saß in der Nähe des Grabens an einem Klapptisch, auf dem mehrere Artefakte lagen. Ein Soldat brachte ihr eine der Kisten. Sie klappte den Deckel auf und fing an, mehrere Einlegeböden herauszunehmen, auf denen Pinsel, Lupen und metallene Instrumente lagen.
    Ein Bauer habe sich am Vorabend zum Anwesen begeben und einen Jadegegenstand gebracht, der beim Pflügen aus einem kleinen Hügel in seinem Gerstenfeld zum Vorschein gekommen sei, erklärte die Frau, als Yao sie danach fragte. Sie zeigte auf das entsprechende Fundstück, das auf einem Handtuch in der Mitte des Tisches lag. Es war die vordere Hälfte eines detailliert gefertigten Drachen, Teil eines früheren Griffstücks, eventuell von einem Spazierstock oder Fliegenwedel. Mit einer nadelspitzen Sonde wies die Frau nun auf den Teil, der besonderes Aufsehen erregt hatte.
    »Die Klauen?« fragte Yao.
    »Es sind fünf«, stellte Shan fest. »Und er wurde in diesen Gräben gefunden?« fragte er.
    Die Frau warf ein Tuch über das Jadestück und ignorierte Shan geflissentlich.
    Shan und Yao sahen sich an. Im kaiserlichen China hatte nur eine einzige Familie das Recht besessen, den Drachen mit fünf Klauen zu nutzen. »Was haben Sie gefunden?« fragte Yao die Frau langsam und mit bedrohlichem Unterton.
    »Als wir hier angekommen sind, hatte die Familie des Bauern bereits angefangen, den Graben auszuheben. Er verläuft rund um ein altes Fundament. Die chinesische Stätte wurde von Direktor Ming persönlich entdeckt«, behauptete sie. Jade wurde in Tibet nur selten verwendet. »Als der Rest unserer Mannschaft eintraf, hatten er und die Bauern unterdessen eine steinerne Truhe ausgegraben. Sie enthielt einen wertvollen Schatz.« Die Frau bückte sich und hob den Deckel eines langen Metallkastens an. Darin lag ein prächtiges gelbes und blaues Seidengewand, dasmit Kranichen, Drachen, Fasanen und anderen Wesen bestickt war, darunter eines, von dem man nur ein Bein erkennen konnte, ein

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