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Der verlorene Sohn von Tibet

Der verlorene Sohn von Tibet

Titel: Der verlorene Sohn von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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sagte Corbett und beugte sich vor. »Nur ungefähr hundert Jahre.«
    »Für alle Dinge gibt es eine richtige Zeit«, sagte Lokesh und wies auf die erste Zeile. »Und eine Stunde für jede Absicht unter dem Palast der Götter.«
    Corbett atmete vernehmlich ein. Dann bückte er sich zu den letzten Worten hinunter und richtete sich wieder auf. »Ein jegliches hat seine Zeit«, rezitierte er auf englisch, »und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde. Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit.«
    Lokesh nickte und sah den Amerikaner fragend an.
    Corbett streckte die Hand aus. »Da unten steht in englisch die Quelle. Prediger Salomo. Aus der Bibel der Christen.« Er fuhr mit dem Vers fort. »Pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit.«
    Während sie alle noch verwundert die Wand anstarrten, ertönte aus dem Schatten plötzlich eine weibliche Stimme. »Herrlich, oder? Ich wünschte, ich hätte den alten Major gekannt. Sein Leben war ein Wunder, glauben Sie nicht auch?«
    Elizabeth McDowell betrat die Kammer. Corbett runzelte die Stirn und klopfte seine Taschen ab, als suche er nach einer Waffe. Liya packte Dawa und zog sie hinter sich. McDowell bedachte die Tibeterin mit einem gekränkten Blick, zuckte die Achseln und nickte Shan kurz zu.
    »All die Jahre«, sagte sie und wies mit beiläufiger Geste aufdas Labyrinth, »haben wir keine einzige Spur des amban entdeckt. Irgendwo in diesem Tempel liegt der Schlüssel zu einem Vermögen verborgen. Falls Lodi und ich das vorher gewußt hätten«, sagte sie und zuckte erneut die Achseln, »hätten wir nicht so schwer arbeiten müssen.«
    »Lodi wäre niemals einverstanden gewesen«, sagte Liya. »Nicht bei dem Erdtempel. Er hätte ihn beschützt.«
    »Es geht nicht um den Tempel, Cousine, sondern um die Dokumente des amban . Lodi wollte genauso gern über den amban Bescheid wissen wie wir anderen. Der verlorene Schatz gehörte dem Kaiser. Es ist also kein Diebstahl an den Tibetern.«
    »Das kannst du nicht tun«, protestierte Liya. »Die werden den Tempel beschädigen.«
    »Du irrst dich, Liya. Wir möchten lediglich herausfinden, wo im Norden der Schatz des amban versteckt liegt, das ist alles. Kwan Li und der Kaiser taten gern geheimnisvoll. All diese alten gompas haben detaillierte Aufzeichnungen angefertigt. Ich bin davon ausgegangen, sie seien zerstört worden, bis ich von dem unterirdischen Tempel hörte. Hilf mir bei der Suche nach den Dokumenten und der Lösung des Rätsels, und niemand muß den Tempel beschädigen.«
    »Jemand hat hier bereits ein Wandgemälde gestohlen und andere verunstaltet«, wandte Shan ein.
    »Davon wußte ich nichts, das müssen Sie mir glauben«, sagte die Britin mit seltsam trauriger Stimme. »Lodi wußte es auch nicht. Manche Leute sind ein wenig übereifrig, und echte Profis nutzen jede Gelegenheit, um ihre Fähigkeiten zu verfeinern«, sagte sie mit einem Blick in die Schatten. »Es wird nicht noch einmal geschehen. Hören Sie, lassen Sie Ming doch ruhig reich und berühmt werden. Ich sorge dafür, daß Bumpari daran teilhat. Man wird sich dort nie wieder Gedanken um Nahrungsmittel oder Medizin zu machen brauchen. Ich möchte ebenso gern wie Sie, daß diese Leute von hier verschwinden. Ich kann das in die Wege leiten. Vertrauen Sie mir einfach.«
    »Damit kommen Sie niemals durch, McDowell«, stieß Corbett hervor.
    »Punji. All meine Freunde nennen mich Punji«, sagte die Britin in sanftem, beinahe verletzlichem Tonfall. »Und irgendwie kommen Sie mir wie ein alter Freund vor, Agent Corbett. Sie sind lange Zeit meinen Spuren gefolgt.«
    »Ich wußte nicht, daß Sie das waren«, knurrte der Amerikaner.
    »Ja, lustig, nicht wahr?« Sie musterte Corbett, Yao und Shan. »Nur damit es keine weiteren unangenehmen Mißverständnisse gibt, müssen wir ein paar Dinge überprüfen.«
    Liya stöhnte auf, denn zwei Männer traten aus der Dunkelheit vor, der riesige Mongole und der hagere Han-Chinese, deren Gesichter Shan auf den Fotos neben Ming und Dolan gesehen hatte. »Das sind Mr. Khan und Mr. Lu.«
    Liya erschauderte sichtlich und stellte sich mit Dawa zwischen Shan und Corbett. Auf Lus Wange sah Shan die langen Kratzer, die Liyas Fingernägel hinterlassen hatten. Der kleine Chinese betrachtete ihn argwöhnisch.
    »Gottestöter!« rief Liya den beiden Männer entgegen. Lu lachte, und dann fingen er und Khan an, alle Mitglieder der Gruppe zu durchsuchen. Das Funkgerät, der Kompaß, die Taschenmesser

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