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Der verlorene Sohn von Tibet

Der verlorene Sohn von Tibet

Titel: Der verlorene Sohn von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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Stimme.
    »In Zhoka. Sogar für eine so kümmerliche Seele wie die des Amerikaners könnte eine Chance bestehen, denn sie wurde inmitten all der wunderbaren Geister freigesetzt, die hier leben.«
    Shan lächelte traurig. »Dieser Brief. Was hat Yao …?« Seine Frage an Corbett wurde durch einen verzweifelten Ruf unterbrochen, der von unten drang.
    Ko lief aus der Kammer und kehrte wenig später zurück. »Es ist Jara!« verkündete er. »Er sagt, Soldaten fallen in Zhoka ein!«
    Der Hirte stand am Fuß der Leiter und schaute verängstigt zu ihnen hinauf. »Sie sind mit mehreren Hubschraubern beim alten Steinturm gelandet«, berichtete er. »Jede Menge Soldaten, und alle kommen hierher.«
    »Wir müssen Ihnen entgegengehen«, warnte Shan. »Sonst stellen sie alles auf den Kopf, bis sie den Tempel finden.«
    »Und wir müssen Yao mitnehmen«, fügte Corbett grimmig hinzu. »Sonst suchen sie nach ihm.«
    Auch mit Jaras Hilfe war es keine leichte Aufgabe, den toten Yao zurück durch den Tempel zu tragen. Während des Abstiegs verschlossen sie alle geheimen Zugänge hinter sich, und nach einer Viertelstunde stiegen Shan und Corbett die Stufen zur Oberfläche hinauf.
    Sie standen fast schon im Sonnenschein, als mehrere Stimmen sie aufforderten, sich nicht zu bewegen. Hinter den seitlichen Mauern sprangen grün uniformierte Soldaten mit schußbereiten Waffen hervor. Eine Minute später erreichten sie den Innenhof. Oberst Tan lehnte am chorten und rauchte mit wütendem Blick eine Zigarette.
    Als er Shan sah, zog er ein Blatt Papier aus der Tasche und warf es ihm hin. Es war einer von Mings vorläufigen Berichten für Peking. Die Überschrift lautete Häftlingsaufstand in Lhadrung . Der Oberst schien nicht zu bemerken, wie erschöpft Corbett und Shan dreinblickten. »Da steht, es passiert heute.«
    »Es hat sich eine schreckliche Tragödie ereignet, Oberst«, warf Corbett ein. »Yao wurde von Plünderern ermordet, und Dolan ist in den Tod gestürzt, als er versucht hat, sich ihnen zu widersetzen.«
    Shan sah ihn an und bemühte sich nach Kräften, seine Überraschung zu verbergen.
    Tan musterte sie schweigend. »Das ist gelogen.«
    Corbett holte Yaos Brief hervor und gab ihn Tan. »Der Inspektor hat vor seinem Tod alles aufgeschrieben. Er war … er war ein Held.«
    Tan las den Brief nicht, sondern betrachtete Shan. Dann schweifte sein Blick zur Seite ab, und Shan merkte, daß sein Zorn etwas nachließ und sich mit einer gewissen Resignation mischte. Der Oberst ging an Shan vorbei zu der Wand neben dem chorten , wo unter einem schützenden Sims ein weißer Fleck zu sehen war, ein Rest Mehl vom Festtag. Tan nahm etwas davon, roch daran und drehte sich vorwurfsvoll zu Shan um. »Falls Ming recht behält und das alles hier den Häftlingen zur Flucht verhelfen soll, wird es dich den Kopf kosten.«
    »Es wird uns beide den Kopf kosten, Oberst«, erwiderte Shan. »Aber wieso sind Sie hier, wenn Sie sich Sorgen um die Gefangenen machen?«
    »Wegen Ming.« Tan verzog das Gesicht, als bereue er seine Worte. »Es heißt, die Tibeter würden einen großen goldenen Buddha abtransportieren, den sogenannten Bergbuddha, um damit einen Häftlingsaufstand anzuzetteln. Dann wollen sieden Buddha gemeinsam mit den Flüchtlingen und zahlreichen aufgehetzten Einheimischen über die Grenze zum Dalai Lama bringen. Laut Ming handelt es sich um eine Verschwörung von außen, die den Bezirk politisch destabilisieren soll.« Er schaute unschlüssig zu dem Brief in seiner Hand und dann wieder zu Corbett. »Und die Leichen sind spurlos verschwunden, was?« knurrte er.
    »Nur eine«, sagte Corbett.
    Sie gingen langsam die Treppe hinab, geschützt durch mehrere Soldaten, die ständig mit einem Hinterhalt zu rechnen schienen. Am Fuß der Stufen saßen Lokesh und Ko mit dem toten Yao, der an der Wand lehnte. Tan ging in die Hocke und packte einen von Yaos Armen, als wolle er ihn schütteln und dadurch das vermeintliche Täuschungsmanöver auffliegen lassen. Doch der Oberst ließ die erkaltete Haut sofort wieder los und zuckte zurück. Ein leises Ächzen drang über seine Lippen.
    »Das wird man in Peking niemals begreifen.« Es klang, als würde er sich bei Yao entschuldigen. Dann wurde er schlagartig wieder ernst, stand auf und verlangte, zu der Stelle gebracht zu werden, an der Dolan abgestürzt war.
    Ohne ein weiteres Wort gingen sie den Korridor hinunter und an dem Wasserfall vorbei. Tans Adjutanten musterten verunsichert die Wandgemälde, und der Oberst

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