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Der verlorene Sohn von Tibet

Der verlorene Sohn von Tibet

Titel: Der verlorene Sohn von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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blieb mehr als einmal vor den Dämonen stehen, als wolle er sie befragen. Doch jedesmal ging er schweigend weiter.
    »War er noch am Leben, als er aus dem Berg gespült wurde?« fragte Tan, als sie vor der Öffnung mit den weggebrochenen und verbogenen Eisenstangen standen.
    »Das wissen wir nicht«, sagte Shan. »Vermutlich.«
    »Wir werden seine Leiche benötigen. Seine Erben möchten bestimmt Gewißheit haben.« Er ging etwas näher an die Öffnung heran. »Ein Helikopter kann da unten nicht landen.«
    »Die Schlucht mündet acht Kilometer von hier ins Tal«, erklärte Shan.
    »Ich schicke einen Trupp meiner Leute.«
    »Dort liegen zwei Leichen«, sagte Shan. »Jemand anders sollte gehen und die geeigneten Worte sprechen.«
    Tan runzelte die Stirn. »Die andere ist McDowell, nicht wahr? Und Sie meinen, Tibeter sollen für einen Amerikaner und eine Britin beten? Das ist doch lächerlich.«
    »Sie sollen für zwei Menschen beten, die in einem tibetischen Kloster gestorben sind. Schicken Sie Lokesh.«
    »Und mich«, sagte Ko und trat vor. »Ich gehe auch.«
    »Du brauchst einen Arzt«, protestierte Shan. Kos verletzte Hand blutete immer noch.
    Tan runzelte abermals die Stirn. »Du bist ein Häftling. Du gehst, wohin ich es sage.«
    Ko schien ein Stück kleiner zu werden und senkte den Blick auf das wirbelnde schwarze Wasser. »Ich bin ein Häftling. Ich gehe, wohin Sie es sagen«, wiederholte er stockend.
    Tan erteilte dem Adjutanten, der hinter ihm stand, ein paar barsche Befehle. »Handschellen«, sagte er dann. Der Offizier nahm die Fesseln vom Gürtel und ging auf Ko zu.
    »Nicht der«, sagte Tan und wies auf Ko. »Ich befehle dir, den Bergungstrupp in die Schlucht zu begleiten, damit der alte Tibeter meine Männer nicht unnötig aufhält. Morgen wirst du von der Öffentlichen Sicherheit abgeholt und in deine Kohlengrube zurückgebracht.«
    Der Oberst nahm die Handschellen, schloß eine davon um Shans Unterarm und die andere um sein eigenes Handgelenk. »Der hier kommt mit mir, um den Gefangenenaufstand zu verhindern«, sagte er.
    Bevor Ko mit dem Offizier aufbrach, stopfte er Shan hastig etwas in die Tasche. Es waren Dolans Schecks. Kos letzte Hoffnung auf Freiheit. Shan hielt seinen Sohn mit der freien Hand zurück und gab ihm ebenfalls ein Stück Papier. Ko warf einen kurzen Blick darauf und steckte es schnell unter sein Hemd. Es war Lodis Zeichnung von Punji McDowell, die Shan aus Bumpari mitgenommen hatte.
    Eine halbe Stunde später stand Shan mit dem Oberst am unteren Ende des Tals und beobachtete die 404te beim Arbeitseinsatz. Die Sträflinge waren immer noch damit beschäftigt, einige Flächen am Fuß des Berggrats zu roden und einzuebnen.
    »Ich dachte, Sie hätten die Leute im Lager gelassen«, sagte Shan. Der Anblick der Landschaft erinnerte ihn an etwas.
    »Wir lassen uns doch nicht von ein paar Gerüchten einschüchtern«, entgegnete Tan und zündete sich eine Zigarette an. »Außerdem waren sie bereits an der Arbeit, als ich Mings Bericht entdeckt habe.« Shan folgte seinem Blick zu einem silbernen Wagen, der zwischen zwei Armeelastern geparkt stand. Mings Wagen.
    »Sie meinen, er hat es Ihnen nicht selbst erzählt?«
    »Offenbar hatte er nicht vor, seine Einblicke mit mir zu teilen.«
    Weil Ming insgeheim hoffte, der Ausbruch würde gelingen, wußte Shan. Der Direktor mochte verzweifelt sein, aber sein politisches Gespür hatte nicht darunter gelitten. Tan wäre diskreditiert. Ming hingegen könnte jede Untersuchung der eigenen Machenschaften abwenden und Peking zudem seinen politischen Scharfsinn beweisen. Falls Ming die goldene Buddhastatue ohne Zeugen fand, wurde er dadurch zu einem reichen Mann. Und falls der Bergbuddha öffentlich enthüllt wurde, konnte Ming ihn einfach für sein Museum einfordern und landesweite Schlagzeilen machen. Der politische Nutzen Lhadrungs war dem Direktor weitaus mehr wert als der Schatz des amban .
    Tan erhob keinen Einwand, als Shan zu Mings Wagen gehen wollte. Die Türen waren verschlossen, aber auf der Rückbank stand ein Karton, in dem mehrere Hämmer und Meißel lagen. Dreißig Meter die Straße entlang stand ein kleiner robuster Transporter, auf dessen Ladefläche drei Männer saßen und warteten. Ming war für alle Eventualitäten gerüstet.
    Die Häftlinge unterhalb der Klippe schleppten Steine, brachen den Boden auf und füllten mit Schubkarren voller Erde kleinere Senken. Die einzigen Wachen waren ein paar Soldaten, die darauf achteten, daß die

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