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Der verlorene Sohn von Tibet

Der verlorene Sohn von Tibet

Titel: Der verlorene Sohn von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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»Irgendwas mit Silber und Edelsteinen, die man womöglich aus ihren Fassungen gehebelt hat.« Er nahm ein zweites Stück, das wie ein kleiner Obstkern aussah. »Das hier ist anders. Ich bin oft genug in der Gerichtsmedizin gewesen. Es ist eine silberne Zahnfüllung.«
    »Die Tibeter in dieser Gegend haben keine silbernen Zahnfüllungen«, stellte Shan ruhig fest. »Wenn ein Zahn weh tut, wird er gezogen.«
    »Die Blutspur fängt da drüben an«, sagte Corbett und leuchtete in Richtung der Zelle, in der Shan die Manuskriptseite gefunden hatte. »Dort ist der Angriff erfolgt, und dem Opfer wurde eine Wunde zugefügt. Als der Verletzte den Durchgang erreichte, hat er bereits stark geblutet. Ich glaube, er ist in sein eigenes Blut getreten.« Der Amerikaner beleuchtete eine Stelle der grausigen Fährte, die Shan bisher entgangen war. Man erkannte den vorderen Teil einer Stiefelsohle, versehen mit dem gleichen Profil, das Yao und er in der unteren Kammer gefunden hatten. Corbett leuchtete den weiteren Verlauf der Spur ab. »Er ist gestürzt, hat aber vorher noch versucht, sich festzuhalten.« Er deutete auf die steinerne Wand neben der Türöffnung. Es gab dort einen roten Schmierfleck samt den Umrissen einer Handfläche und mehrerer Fingerspitzen. Das Licht folgte den Spuren auf der anderen Seite der Lache, den verwischten Abdrücken glatter Sohlen. »Während das Opfer sterbend amBoden lag, ist jemand hinzugekommen. Oder unmittelbar nach dem Tod des Verletzten.«
    »Surya«, flüsterte Shan.
    »Das ist nicht das Verbrechen, um das wir uns kümmern sollten«, warnte Yao.
    Eine seltsame Stille senkte sich über den Raum. Corbett behielt das Licht auf die Fußabdrücke gerichtet und zeigte, wie Surya zu der Ecke gegangen war und vor der neunköpfigen Gottheit verharrt hatte. Die meisten der Holzperlen waren in einen Bodenspalt zu Füßen des Gemäldes gefallen. Shan spürte, daß der Amerikaner den Ablauf der Ereignisse begriff. Surya war entsetzt in die Ecke zurückgewichen und hatte im Angesicht der Gottheit die Schnur seiner mala zerrissen.
    »Eine partielle Wahrheit existiert nicht«, hörte Shan sich mit bekümmerter Stimme sagen. »Es gibt nur die vollständige Wahrheit.« Er blickte auf und bemerkte, daß beide Männer ihn ansahen.
    »Was soll das heißen?« fragte Yao.
    »Ganz einfach«, erwiderte Shan mit einer Gewißheit, die plötzlich aus einem unbekannten Ort in seinem Innern aufstieg. »Sie werden niemals verstehen, was in Seattle und Peking passiert ist, wenn Sie nicht auch ergründen, was sich hier in diesem Raum und in Gegenwart jenes Gottes zugetragen hat.« Er sah zu dem machtvollen Wandgemälde neben der Blutlache und erwartete, daß seine Begleiter mit Verärgerung oder zumindest mit Spott reagieren würden, doch sie starrten nur wortlos die neunköpfige Gottheit an. Hatte man die Gestalt geblendet, weil sie Augenzeuge der Vorfälle geworden war?
    »Da ist noch etwas«, sagte Corbett und richtete seinen Strahler auf den unteren Teil der Wand gleich außerhalb der Kammer. »Er hat versucht, eine Botschaft zu hinterlassen.« Der Amerikaner wies auf das Oval mit dem Kreis und dem Quadrat darin. »Jemand hat das dort gezeichnet und ein Wort geschrieben.« Shan hatte dem Fleck über der Zeichnung keine Bedeutung beigemessen und vermutet, der Sterbende habe sich dort vielleicht abgestützt. Doch im Licht von Corbetts Lampe schimmerten Schriftzeichen unter der Schmierspur.
    »Was da leuchtet, ist Blut«, sagte Corbett. »Darüber liegt eine ebenfalls rote Farbschicht.« Er schaltete den Ultraviolettstrahler ab, und die Buchstaben verschwanden. »Jemand hat mit Blut etwas geschrieben, ein anderer es mit Farbe wieder verdeckt. Mit der gleichen Farbe wie oben im Turm.« Er schaltete das Licht wieder ein. »Was steht da?«
    »Nyen Puk. Das heißt Höhle des Berggottes«, sagte Shan. »Die Nachricht könnte unvollständig sein. Manchmal schreibt ein Sterbender ein letztes Gebet.« Surya hatte verzweifelt versucht, jeden Hinweis auf den Berggott zu tilgen. Das Opfer jedoch hatte den letzten Atemzug und das eigene Blut auf das genaue Gegenteil verwandt.
    »Sie meinen, der Tote war Tibeter?« fragte Corbett.
    Shans Hand schloß sich um den Spielchip in seiner Tasche. »Ich weiß es nicht«, sagte er und holte den Chip hervor. »Das lag in der Blutpfütze. Vielleicht hat es dem Opfer gehört.« Es war, als sei der Tote tibetisch und doch nicht tibetisch gewesen.
    Corbetts Augen leuchteten auf. »Nein, nicht dem

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