Der verlorene Troll
Starken führen, und die Schwachen müssen folgen - das ist der Lauf der Welt. Wenn sie nicht freiwillig mitgehen, müssen sie eben dazu gezwungen werden.«
»Was ist daran freiwillig, wenn sie sonst geschlagen oder getötet werden? Das ist nicht gut, Bran. Mir gefallen die Bräuche deines Volkes nicht. Ich glaube nicht, dass ich bei euch bleiben möchte.« Seine Handgelenke zogen am Seil, das durch das Wetzen immer dünner wurde.
»Du hast uns nicht von unserer besten Seite gesehen. Baron Culufre ist ein guter, gerechter Mann. Er wird alles wieder in Ordnung bringen.«
»Das Gleiche hast du über den Eunuch gesagt.« Der erste Seilstrang riss, und die Fesseln fielen ab. Ein schmerzhaftes Prickeln strömte durch Mades Finger. »Komm, ich binde deine Hände los.«
»Gib uns die Gelegenheit, dir zu zei… Was?«
Made stand auf, suchte Bran und begann, dessen Fesseln aufzuknoten. »Kannst du die Hände etwas höher halten?«
»Aber wie hast du dich befreit?«, fragte Bran und hob folgsam die Hände.
»Ich habe das Seil an den scharfen Kanten der Mauersteine gerieben.«
»Ohne mir etwas zu sagen?«
»Du warst nicht sehr interessiert.«
»Aii! Ich bin wirklich ein schlechter Menschenkenner!«
Obwohl sie noch taub und gefühllos waren, gelang es Mades Fingern nach einer Weile, Brans Knoten zu lösen. Schließlich wickelte er das Seil von den Handgelenken des Freundes.
»Bei den zwei Göttern, tut das weh«, rief Bran. Er schüttelte die Hände und schlug sich mit den Handflächen auf die Schenkel. »Aber dieser Schmerz ist wahrlich Balsam für meine Seele. Sollte Romy zurückkommen, entweder mit dem Wasser oder den Ratten - Ratten! Ist das zu fassen? - werden wir ihn überwältigen. Du postierst dich an der Wand gegenüber dem Eingang, wo er dich sehen kann, und ich verstecke mich in der Ecke hinter der Tür.«
Mades Hand tastete nach dem Lederbeutel an seinem Hals. Er hatte den Zauberstein aufgespart, um ihn der Frau zu geben - Portia -, aber sie war nicht hier, und wenn er nicht freikam, würde er sie vielleicht nie wieder sehen. Er würde ein anderes Geschenk finden, um ihr sein Interesse zu zeigen.
»Vielleicht brauchen wir nicht so lange zu warten«, überlegte er. »Was wird passieren, wenn ich den Stein des Zauberers zerbreche? Vielleicht bebt die Erde wieder und die Wände stürzen ein.«
»Wieder? Romy sagte etwas von einem Erdbeben… «
»Ich hatte zwei dieser Anhänger. Einen davon habe ich in Damaquas Dorf zerbrochen, als ich dich von Sinnglas fortbringen wollte. Die Erde bebte und warf uns alle zu Boden.«
Bran pfiff im Dunklen. Dann sagte er leise: »Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass nichts passiert.«
»Und dann können wir es immer noch mit deinem Plan versuchen«, sagte Made.
»Vielleicht solltest du den Stein lieber aufsparen. Wenn wir geduldig sind, werden wir noch weitere Gelegenheiten zur Flucht bekommen. Wären unsere Hände nicht gefesselt gewesen, hätten wir Sebius als Geisel nehmen und uns den Weg freipressen können.«
»Nein«, sagte Made. Mit zitternden Fingern öffnete er das Ledersäckchen und holte den tränenförmigen Zauberstein heraus. Er schloss die Hand darum und beobachtete, wie er durch seine Haut hindurch glühte. »Ich habe es satt, dass andere über meinen Weg bestimmen.«
Er hielt den Stein in die Höhe. Um ihn zu zerbrechen, musste er beide Hände zu Hilfe nehmen. Das laute, nasse Knacken klang, als würde ein Tropfstein in einen unterirdischen See fallen. Das Glas löste sich auf und ließ einen Blitz auflodern, saftiggrün wie ein Berghang im Frühling, der die kleine Zelle mit seinem Licht erhellte. Einen Sekundenbruchteil lang konnte Made Bran deutlich sehen, seine besorgte Miene, wie er sich die Hände rieb, um die Taubheit darin zu vertreiben. Dann war es wieder dunkel.
Beide Männer schwiegen.
Bran räusperte sich. »Hast du es auch richtig gemacht?«
»Ich glaube schon. Wie hätte ich es sonst tun sollen?«
»Du bist der Zauberer.«
»Ich bin kein Zauberer.«
»Nun, du hast jedenfalls einen Zauberstein.«
»Warte.« Made verzog das Gesicht. Ein neuer Geruch stieg ihm in die Nase, der Duft von frischer Erde und Pflanzen. Seine Ohren vernahmen ein leises Summen.
»Was ist?«
»Da drüben, wo die Wand undicht ist«, zeigte Made. Als er einen Schritt dorthin tat, traten seine Füße in eine Pfütze. Er bückte sich, um das Rinnsal zu suchen, von dem sie getrunken hatte, und stellte fest, dass sich einige Steine gelockert hatten und
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