Der verlorene Troll
schleckte Clayes Hand sauber und wischte sie an ihrem Rock ab. Anschließend stand sie auf und nahm den kleinen Jungen auf den Arm. »Ich freue mich, Euch zu sehen, Mylady Sebius«, sagte sie, ohne eine Spur von Freude in der Stimme. »Ich möchte Euch dreimal für Eure Gastfreundschaft danken. Aber der Tag war anstrengend; wir sind müde und müssen schlafen.«
In ihren Worten war ein anderer kaiserlicher Plural zu hören, dachte Yvon: das königliche Wir einer Mutter mit ihrem Kind, von dem er ausgeschlossen war.
»Natürlich«, zwitscherte der Eunuch. »Gibt es sonst noch etwas, das ich für Euch tun kann?«
»Ihr habt schon viel zu viel für uns getan«, erwiderte die Amme. Sie nahm ihre Decke aus dem Sack und ließ sich ein Stück entfernt von ihnen nieder. Yvon schaute ihr nach und fragte sich, was aus der fröhlichen Frau geworden war, die er einst in der Burg aus der Ferne beobachtet hatte.
Sebius legte ihren Stab auf den Boden und setzte sich mit einer Schüssel voll Essen neben ihn. »Es ist nicht zu übersehen, wie sie Euch anschaut und wie Ihr sie anschaut.«
Yvon schrak zusammen. »Was meint Ihr damit?«
Sebius lächelte, den Mund voller Essen. »Ganz offensichtlich seid Ihr nicht der Onkel. Aber das Kind ist auch nicht von Euch; Ihr steht wie ein Bettler vor ihrer Tür.«
Eine Anspielung auf ein Sprichwort unter Männern, die aus dem Mund eines Eunuchen taktlos klang: Der Körper einer Frau ist ihre Heimstatt - nur diejenigen, die sie einlädt, dürfen herein. »So ist es zwischen uns nicht.«
Sebius lachte laut und schlug die Hand vor den Mund, um keinen Haferbrei zu verschütten. »Habe ich es Euch schon erzählt? Die Weissagungsknochen haben vorhergesagt, ich würde in diesem Tal einen Mann namens Bran treffen, der mir zu meinem Glück verhülfe.«
Ein Schauer fuhr Yvons Rückgrat entlang. Wie die meisten Ritter hielt er sich von Prophezeiungen fern. Ein Mann konnte nur dann klaren Herzens in den Kampf ziehen, wenn er den Ausgang nicht kannte.
»Also, um unsere Freundschaft zu festigen, will ich Euch diesen Rat geben«, fuhr der Eunuch fort. »Eine Frau außerhalb ihres Heims, draußen in der Wildnis, trägt stets Furcht in ihrem Herzen. Vor allem, wenn sie ein Kind bei sich hat. Ihr, Freund Bran, solltet Lady Pwylla rasch bei ihrer Familie abliefern. Dann kehrt zurück und helft mir, und ich werde Euch dafür mit neuen Kleidern ausstatten.« Sie zeigte auf Yvons dreckverkrustete Hosen. »Und zwar nur vom Allerfeinsten! Dazu noch viele Geschenke für sie und ihr Kind. Dann wird sie das alte Juwel in einer schönen, neuen Fassung glänzen sehen.«
Yvon grunzte abweisend.
Sebius tat so, als würde sie an eine Tür klopfen. »Klopf, klopf. Bitte, kommt herein!« Lachend schaufelte sie sich noch mehr Essen in den Mund.
Während sie noch aßen, näherte sich eine kleine Gruppe Soldaten und schlug ihr Nachtlager in der Nähe der Hirten auf. Oder vielmehr, in der Nähe von Yvon und Xaragitte. Obwohl der Himmel mittlerweile nur noch vom Zwielicht erhellt wurde, meinte Yvon, den Soldaten zu erkennen, der am Nachmittag sein verstecktes Schwert gesehen hatte. Sebius war verärgert, weil die Männer sich so dicht bei ihnen niederließen, als wäre das eine Kritik an ihrer Aufsicht über die Hirten, und sie sprang sofort auf, um sich zu beschweren. In ihrer Empörung vergaß sie ganz, sich mit einer Entschuldigung von Yvon zu verabschieden.
Yvon nahm seine Decke und setzte sich zu Xaragitte. Obwohl er dadurch näher an den Eunuchen und die Soldaten heranrückte, konnte er keine Einzelheiten ihrer Auseinandersetzung verstehen. Die Soldaten weigerten sich jedoch offenbar zu verschwinden, und obwohl es bereits dunkel war, machte Sebius sich erbost auf den Weg zum Flussufer, wo das Zelt des Barons stand.
Yvon sammelte die Essensreste ein, die der Eunuch und Xaragitte übrig gelassen hatten, und verstaute sie in ihrem Sack.
Die Amme drehte sich vorsichtig unter ihrer Decke, um den schlafenden Claye nicht zu stören. Ihr Gesicht war nun Yvon zugewandt, und nicht einmal das Dämmerlicht konnte den Schmerz in ihren Zügen erträglicher machen.
»Was ist los?«, fragte er und wollte sie berühren.
Sie hob abwehrend den Arm und legte dann die Finger auf ihre Brust. »Meine Herrin, Lady Gruethrist, sie windet und krümmt sich hier drin. Es tut schrecklich weh.«
»Aber sie lebt noch?«
Xaragitte schüttelte den Kopf. »Sie kämpft, aber ob sie darum kämpft zu leben oder zu sterben, weiß ich
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