Der verlorene Troll
Mades Kopf traten hervor wie ein Gebirgskamm im Mondlicht. Windy verharrte an ihrem Platz. Alles wurde still, bis auf das Rauschen des Wasserfalls, und alle Trolle schauten auf ihren Sohn, der sich auf seine langen Beine stemmte, um Stinky in zwei Teile zu brechen und ihn in den Dreck zu bohren.
Gleich zerspringt ihm das Herz, dachte Windy und blickte zu ihrem Sohn. Und wenn nicht seines, dann das ihre.
In diesem Moment kreischte das Mädchen auf und rannte los. Sie sprang auf Mades Rücken, schlug auf ihn ein und kratzte ihn. »Du Bestie! Du, du Tier!«
Made löste seinen Griff und flüchtete über die Lichtung zu einem Baum. Er sprang in die Zweige und kletterte hinauf, bis er hoch über den Trollen thronte. »He, Flaz«, höhnte er zwischen lauten, keuchenden Atemzügen. »Deine Mama muss kommen und dich retten!«
Diese Beleidigung war um so wirkungsvoller, als Windy einfach nur dasaß und nichts tat. Die anderen Trolle gröhlten vor Lachen, selbst Kleiner Donner, während das Mädchen den schmollenden, erschöpften Stinky in den Armen hielt.
»Schaut euch diese Trollmama mit ihrem Baby an!«
»Du solltest ihm mal die Nase putzen, Mama, die sieht ja furchtbar aus!«
Windy zog die Hände aus dem Dreck, wischte sich die Finger ab und entspannte sich. Stinky würde noch Jahre dafür gehänselt werden, gegen ihren Sohn verloren zu haben.
Frosty trottete herbei und kauerte sich neben Windy. Keine von beiden sagte ein Wort. Dann streckte Frosty die Hand aus und begann, sie zu putzen, indem sie lose Schuppen und kleine Insekten aus ihren Hautfalten zupfte. Windy seufzte zufrieden.
»Das hat Spaß gemacht«, sagte Frosty und zerquetschte eine große Zecke zwischen ihren Zähnen. »Dein Sohn, er kämpft wie ein Troll.«
»Er ist ein guter Troll«, sagte Windy.
Kleiner Donner hörte die Worte und grunzte zustimmend. »Er hat uns frisches, fauliges Fleisch gebracht. Das war gut. Du und dein Sohn, ihr dürft unsere Horde jeder Zeit besuchen.«
»Besuchen ja, aber nicht bleiben«, sagte Frosty entschieden mit einem Blick auf Rose. »Wenn ihr darauf besteht, können wir eine Abstimmung durchführen, und ihr könnt eure Argumente dagegen vorbringen. Aber auf meine Fürsprache könnt ihr nicht zählen.«
Windy würde nicht darauf bestehen. Sie hatte diese Worte schon zu viele Male gehört, von den Schwefelquellen unten im Süden bis zur Schlucht am tiefen Loch im Osten. »Wir sind nur froh über eure Gastfreundschaft. Vielleicht könnte ich mit in eure Höhle kommen und dort den Tag verschlafen. Morgen Abend erzähle ich euch dann, was ich bei den sieben Horden gesehen habe.«
»Dein Vorschlag riecht gut. Und dein Sohn? Wo wird er den Tag verbringen?«
Selbst Frosty wusste, dass es bei ihnen für Made zu gefährlich war, solange Stinky seinen Groll nicht überwunden hatte. »Er kann sich um sich selbst kümmern«, sagte sie laut. »Er ist ein erwachsener Troll.«
Sie warf einen Blick zu ihm hinüber. Made schmatzte mit den Lippen und kletterte vom Baum. Im Mondlicht sah sein Körper aus wie eine vom Baum gefallene Frucht, übersät von blauen Flecken und tiefen Wunden. Als er in den Wald davonrannte, machte sie sich längst nicht mehr so viele Sorgen wie noch vor zwei Nächten. Er hatte bewiesen, dass er auf sich selbst aufpassen konnte. Sie war stolz auf ihn, stolzer denn je. Warum nur verspürte sie zugleich ein Gefühl tiefer Trauer?
Kapitel 10
Vor der Höhle blies der Wind angenehm kalt im kurzen Licht des Tages. Im Sommer fand sie die kalte Höhlenluft erfrischend, nun jedoch kam sie ihr fast warm vor verglichen mit dem Winterwind, so warm, dass sie sich ganz träge fühlte. Am liebsten wäre Windy aus der Höhle gerannt und hätte sich im Schnee gewälzt, um wach zu werden, aber noch immer lagen die Schwingen des Tageslichts über dem Höhleneingang.
Einige Trolle kamen aus den tieferen Winkeln der Höhle herangetrottet und rieben sich die Augen. »Ist er schon zurück?«
Windy schüttelte den Kopf und streckte die Zunge raus.
Die Trolle verzogen das Gesicht. Einer von ihnen kaute an einer großohrigen Fledermaus, die von ihrem Sitz hoch oben in der Höhle abgestürzt war. Die Trolle warfen manchmal Steine nach den Fledermäusen, damit sie herabfielen. Tausende der Flattertiere hingen kopfüber an den hohen Decken der Höhlen, Nachtgeschöpfe wie die Trolle auch und im Sommer schwer zu fangen, wenn sie so schnell durch die Gegend flitzten, dass die Augen ihnen nicht folgen konnten. Im Winter jedoch
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