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Der verlorene Ursprung

Der verlorene Ursprung

Titel: Der verlorene Ursprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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freundlich, ja überwältigend, etwa als wir auf dem Gipfel eines Gebirges angelangt waren. Rundum erstreckte sich zu unseren Füßen soweit das Auge reichte ein dichter Teppich aus Baumwipfeln in unzähligen Grüntönen, mit unbeweglichen weißen Wölkchen gesprenkelt. Dann wieder erwies er sich als aggressiver, als der schlimmste Feind, und man mußte ununterbrochen auf der Hut sein, etwa vor den Bissen der Ameisensoldaten oder den Stichen der Moskitos, Wespen, Taranteln ... Auch vor Schlangen, Fledermäusen, Kaimanen oder Piranhas - der Fisch, der im Amazonasgebiet am häufigsten vorkommt - mußte man sich in acht nehmen. Unzählige Male begegneten uns Pumas oder Jaguare, von denen jedoch keiner Anstalten machte, uns anzugreifen. Auch Falken, Adler, Affen und Ameisenbären (übrigens sehr lecker, ähnlich wie Gänsefleisch) bekamen wir zu Gesicht. Die Indianer bewahrten die langen Krallen des Ameisenbären auf und schliffen sie sich, wann immer wir eine Pause machten, zu gefährlich scharfen Messern zurecht. Mit der Zeit gewöhnten Marc, Efrain und ich uns daran, uns mit Hilfe solcher Krallen zu rasieren. Wir waren regelrecht besessen davon, die Toromonas zu beobachten und von ihnen zu lernen. Marc und ich hatten immer behauptet, die Welt sei voller geschlossener Türen und wir dazu geboren, sie zu öffnen. Hier waren es die Indianer, die den Schlüssel zur >grünen Hölle< besaßen, und ich wollte von ihnen lernen, den Code des Dschungels zu entschlüsseln. Marc und Lola machten sich über mich lustig, doch als Vollblutanthropologin begleitete mich Marta, wenn ich mich unauffällig einer Gruppe von Indianern anschloß, die einer seltsamen Verrichtung nachgingen. Sie ließen uns ungehindert herumlaufen, halb mitleidig, halb spöttisch, wie Eltern unbeholfener Kleinkinder. Bald merkten sie wohl, daß wir ehrlich interessiert waren. Sie gewährten uns einen Sonderstatus innerhalb unseres kleinen Trupps und riefen uns sogar beim Namen, wenn sie auf etwas stießen, was interessieren könnte. Nur eine Lektion hätte ich mir gerne erspart.
    Zwei oder drei Tage nachdem wir die Ruinen verlassen hatten, bemerkte ich einen riesigen Abszeß an der rechten Wade. In der Annahme, es handle sich um die ganz ordinäre Entzündung eines der Tausende von Stichen, kleinen Kratzern und Schnittwunden, die wir uns im Laufe des Tages zuzogen, schenkte ich ihm keine weitere Beachtung. Doch kurz darauf begann die Geschwulst zu eitern und weiter anzuschwellen. Schließlich bereitete sie mir so unerträgliche Schmerzen, daß ich anfing zu hinken. Als dann noch ein ganz ähnlicher Furunkel auf meinem linken Handrücken auftauchte und anschwoll, bis die Hand einem Boxhandschuh glich, begann Gertrude sich ernsthaft Sorgen zu machen. Da sie weder Antibiotika noch Schmerzmittel dabeihatte, sah sich die Medizinerin außerstande, mir zu helfen. An dem Tag, als Marc und Efrain mir unter die Arme greifen mußten, um mich beim Laufen zu stützen, fiel den Toromonas auf, daß mit mir etwas nicht stimmte. Einer von ihnen - der alte Pyromane, der unsere Habseligkeiten angezündet hatte - verlangte, daß man mich auf den Boden legte und untersuchte meine Hand und die Wade mit der abgeklärten Haltung eines Landarztes, der sein Leben lang immer die gleichen Krankheiten zu sehen bekommt. Er steckte sich die Blätter einer tabakähnlichen Pflanze in den Mund und kaute sie eine ganze Weile durch, bis ihm brauner Speichel aus den Mundwinkeln rann. Ich fühlte mich so schlecht, daß ich nicht einmal meine Hand zurückzuziehen versuchte, als der Alte langsam auf die höllisch schmerzhafte Entzündung spuckte. Anschließend beobachtete er den Abszeß aufmerksam. 
    Ein kleiner Krater öffnete sich an der Oberfläche, und etwas, das sich bewegte, kroch aus meiner Hand. Ich schimpfte und fluchte mir die Seele aus dem Leib, bis ich heiser war, während Marc und Efrain mich mit aller Kraft am Boden festhielten. Lola fiel in Ohnmacht und mußte sich mit Marta entfernen, der es auch nicht viel besser ging. Nur Gertrude verfolgte den Vorgang aufmerksam. Der alte Indianer zog schließlich mit spitzen Fingern aus meiner geschwollenen Hand eine bestimmt zwei Zentimeter lange weiße Larve hervor, die sich widerstandslos packen ließ, wohl betäubt von dem Tabaksud, den der alte Indianer freundlicherweise für mich bereitet hatte. Die zweite Larve herauszuschälen erwies sich als weitaus schwieriger. Sie war noch größer und hatte sich fest in mein Fleisch gekrallt. In

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