Der verlorene Ursprung
auch nur ein Wort gesagt.
»Die ehrwürdigen Capacas machen sich große Sorgen um Taipikala und den Leichnam von Dose Capaca, dem Reisenden, und auch wegen der vielen Lehrsätze, Weisheiten und Zeugnisse, die dem Gold anvertraut wurden«, erklärte er.
»Doch sie haben bedacht, was Doña Marta über die Forscher der Welt gesagt hat. Don Efraín und Doña Marta dürfen die Arbeit in der Weise fortsetzen, die Doña Marta beschrieben hat, und auf diese Weise den Yatiri von Qalamana dienen. Die Capacas werden jetzt die Formel zur Erlösung des Kranken verkünden, und anschließend müssen Euer Gnaden Qalamana für immer verlassen.«
»Das ist doch verrückt!« fauchte Marc.
Ich hingegen staunte, wie vertrauensselig die Yatiri waren:
Da tauchen ein paar merkwürdige Typen, darunter feindliche Spanier, plötzlich vor ihren Toren auf und sagen ihnen, die Gründe, weswegen sie sich versteckt halten, etwa die todbringenden Krankheiten, existieren längst nicht mehr. Statt nun mißtrauisch zu werden, glauben diese Yatiri ihnen widerspruchslos. Dann wollen diese merkwürdigen Typen ihnen noch weismachen, sie müßten ihnen zu ihrem eigenen Besten die Schlüssel ihrer früheren Heimatstadt aushändigen. Es ging mir einfach nicht in den Kopf, daß diese ungewöhnlichen Menschen derart naiv und dumm sein sollten. Möglicherweise hatten sie uns, so sagte ich mir, mit Hilfe ihrer Macht über die Worte unbemerkt einer Art Prüfung unterzogen. Und letztlich hatten wir ihnen die Wahrheit gesagt. Das erinnerte mich daran, daß Marta ja auch unbeschadet den Fluch aufsagen konnte, der Daniel krank gemacht hatte.
»Und nun, Doña Marta, habt acht, denn nun werden Euch die Worte zur Erlösung des Kranken anvertraut.«
Die Greisin zur Linken erhob sich und sagte feierlich: »Jupaxusutaw ak munta jinchu chhiqhacha jichhat uksarux waliptaña.«
Ich schaute Marta an, deren hochgezogene Augenbrauen größtes Erstaunen signalisierten.
»Ist das alles?« stammelte sie. »Mehr nicht?«
»Mehr nicht, Doña Marta«, erwiderte der junge Arukutipa.
»Doch bewahrt die Worte gut im Gedächtnis, denn Ihr werdet sie wiederholen müssen.«
»Ich glaube, ich habe sie im Kopf, aber für alle Fälle würde ich sie doch gerne einmal hier wiederholen. Die Vorstellung, ich könnte mich irren, wenn wir zurück sind, macht mir angst.«
»Es ist nicht nötig, aber wenn Ihr unbedingt wollt ...«
»Jupaxusutaw ak munta jinchu chhiqhacha jichhat uksarux waliptaña«, wiederholte Marta bedächtig.
»Was bedeutet das?« fragte Gertrude leise Efraín.
»Nichts Besonderes. >Er ist krank, und ich will, daß der Wind, der in die Ohren dringt, ihm auf der Stelle Heilung bringt.««
»Ist das alles?« fragte ich entgeistert.
»Das hat Marta ja auch gefragt.« Efraín lächelte und widmete seine Aufmerksamkeit erneut Arukutipa und den Capacas.
Doch die Audienz war an ihr Ende gelangt. Der Dolmetscher verneigte sich vor uns, und die Capacas erhoben sich feierlich, womit sie die Zusammenkunft für beendet erklärten. Leicht irritiert folgten wir ihrem Beispiel. Hinter dem großen Wandbehang zur Linken trat unser Führer, der sympathische Luk’ana, hervor. Er war vollkommen unbeeindruckt von dem Geschehen. Selbst wenn er wußte, daß wir ihm das Leben gerettet hatten, war das nicht zu erkennen. Sein Gesicht zeigte nicht die geringste Spur von Dankbarkeit oder Erleichterung darüber, daß er in dieser Nacht nicht sterben mußte.
»Verlaßt die Stadt Qalamana in Frieden«, verabschiedete sich Arukutipa von uns. Die Capacas ließen sich nicht einmal zu einer solchen Geste herab. Sie verschwanden mit der gleichen ausdruckslosen Miene, mit der sie drei Stunden zuvor den Raum betreten hatten.
Luk’ana machte uns ein Zeichen, und wir gingen mit ihm zurück in die riesige Empfangshalle im Innern des immensen Baumstumpfs. Ich hatte schon fast vergessen, in was für einer fremdartigen Umwelt wir uns bewegten, und staunte aufs neue, als wir die von den Wächtern verlassene Eingangshalle betraten. Der Führer nahm eine der brennenden Öllampen von einem Tisch und reichte sie Lola, dann die nächste Gertrude und immer so weiter, bis wir alle eine dieser leuchtenden Steinschalen in Händen hielten. Mit einiger Mühe öffnete er ganz allein die beiden schweren Flügel des großen Portals. Draußen war es bereits dunkel und die hereinströmende Luft kalt, fast frostig. Während unserer Unterredung mit den Capacas war die Nacht hereingebrochen.
Unser Weg zurück führte
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