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Der verlorene Ursprung

Der verlorene Ursprung

Titel: Der verlorene Ursprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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einen Spalt und steckte ihren Kopf hinein. »Marta, der Bruder von Daniel ist hier.«
    »Sag ihm, er soll bitte reinkommen«, erklang eine tiefe Stimme, die so melodiös war, daß ich dachte, sie gehöre einer Fernsehansagerin oder Opernsängerin. Doch die Stimme trog, denn als die junge Frau mit dem Pony zur Seite trat, um mich vorbeizulassen, erkannte ich, daß Ona nicht übertrieben hatte mit dem, was sie über Alter und Charakter von Prof. Dr. Torrent gesagt hatte. Als erstes fiel mir ihr fast vollständig weißes, kurzes Haar auf, und zwischen diesem und ihren ebenfalls weißen Augenbrauen die tiefgerunzelte Stirn, vor der ich unwillkürlich Habachtstellung einnahm. Natürlich glättete sich diese, sobald sie die Augen hinter ihrer modernen schmalen Brille mit dem dünnen blauen Metallgestell, das an einem Metallkettchen hing, von den Papieren hob und auf mich heftete. Doch der unangenehme erste Eindruck ließ nicht so schnell nach. Es war etwas dran an Onas Behauptung, sie sei eine Hexe.
    Mir war sie jedenfalls auf den ersten Blick so vorgekommen wie eine aus dem Bilderbuch.
    Freundlich, wenn auch nicht übertrieben, nahm sie die Brille ab, erhob sich und trat vor ihren Tisch, wobei sie auf halbem Weg und ohne die geringste Geste der Begrüßung stehenblieb. Sie lächelte auch nicht. Es schien, als wäre ich ihr gleichgültig, und dieser Termin nur eine der vielen Unannehmlichkeiten, die ihre Position mit sich brachte. Eines mußte man ihr lassen: Sie war für jemanden, der sich Studium und Forschung widmet, ungewöhnlich elegant gekleidet. Ich hatte mir immer eingebildet, daß Universitätsdozenten eines gewissen Alters dazu neigten, ihr Äußeres ein wenig zu vernachlässigen. Marta Torrent jedenfalls, die ungefähr fünfzig sein mußte und klein und zierlich war, fügte sich nicht in dieses Schema. Sie trug ein Wildlederkostüm, Pumps mit ausgesprochen hohen Absätzen und eine Perlenkette passend zu den Ohrringen, dazu ein breites Silberarmband. Eine Armbanduhr fehlte. Offenbar besuchte sie täglich das Sonnenstudio, denn sie war so braun, daß sie keinerlei Make-up benötigte.
    »Treten Sie näher, Señor Cornwall. Setzen Sie sich doch!« sagte diese wunderbare Stimme, die zu einem anderen Menschen zu gehören schien.
    »Danke. Ich heiße Arnau Queralt, Doctora Torrent, und bin der ältere Bruder von Daniel.«
    Wenn die verschiedenen Nachnamen sie überraschten, so zeigte sie es nicht. Sie beschränkte sich darauf, sich wieder in ihren Sessel zu setzen und mich in der Erwartung, daß ich das Gespräch beginnen würde, fest in den Blick zu nehmen. Leider verfügte ich als guter Hacker nur über eine minimale kommunikative Kompetenz - im intellektuellen Zusammenhang wie auch bei der Arbeit. Meine finanziellen Mittel verdankte ich ausschließlich meiner Willensstärke und Hartnäckigkeit, und so stellte ich die Aktentasche schweigend auf den Boden und fragte mich, wo ich anfangen und was ich sagen sollte. Das Dumme war nur, daß sich diese Stille viel zu lange hinzog. Diese Doctora Torrent stellte sich definitiv als ungewöhnlich kaltblütige Frau heraus: Sie schaffte es, in dieser Situation unerschütterlich zu bleiben, obwohl sich die Stille von Sekunde zu Sekunde unerträglicher in die Länge zog.
    »Ich hoffe, ich störe nicht, Doctora Torrent«, begann ich schließlich und schlug die Beine übereinander.
    »Machen Sie sich darüber keine Sorgen«, sagte sie gelassen. »Wie geht es Daniel?« Auch sie betonte den Namen meines Bruders auf der letzten Silbe.
    »Ganz genauso wie an dem Tag, an dem er krank wurde«, erklärte ich. »Sein Zustand hat sich nicht im geringsten gebessert.«
    »Das tut mir leid.«
    Exakt in diesem Augenblick, nicht eine Sekunde früher oder später, entdeckte ich, daß ich mich im Büro einer Geisteskranken befand. Noch schlimmer: in ihrer gefährlichen Gegenwart. Ich weiß nicht, warum, aber bis zu diesem Moment war meine Aufmerksamkeit ausschließlich auf die Doctora gerichtet gewesen, so daß ich nicht bemerkt hatte, daß ich mich in die Zelle einer gefährlichen Irren begeben hatte. In dem kleinen häuslichen Büro meines Bruders türmten sich ebenfalls Hunderte von Büchern und Aktenordnern. Doch diese Frau, die über das Doppelte oder Dreifache an Platz verfügte, litt nicht nur an derselben Form literarischer Verstopfung, sie hatte zudem jeden freien Winkel mit den abstrusesten Objekten gefüllt, die man sich vorstellen konnte: Lanzen mit Spitzen aus Feuerstein, plump bemalte

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