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Der verlorene Ursprung

Der verlorene Ursprung

Titel: Der verlorene Ursprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Keramikkrüge, zerbrochene, dreibeinige Töpfe, Vasen mit glupschäugigen Gesichtern, merkwürdige Granitskulpturen sowohl von Menschen als auch von Tieren. Bemalte, grobe Stoffetzen hingen an den Wänden, als wären es edle Gobelins. Dazu breite, schartige Messerklingen, menschenähnliche Figürchen mit witzigen Mützen, die an Würfelbecher erinnerten, und als genügte das nicht, saß auf einem Eckschemel eine kleine eingetrocknete und in sich zusammengesunkene Mumie, die mit verzerrten Gesichtszügen und stummem Schrei an die Decke starrte. Ich hätte am liebsten dasselbe getan wie sie, denn außerdem balancierten über uns an unsichtbaren Nylonfäden zwei prächtige Totenköpfe - mit langgezogenem Schädel! -, die sich sachte im Wind der Klimaanlage hin und her bewegten.
    Ich muß so zusammengezuckt sein, daß die Doctora belustigt schnaubte und den Mund zu einem feinen Lächeln verzog. Gab es vom Gesundheitsamt nicht strenge Vorschriften bezüglich der Beisetzung von Leichen oder zumindest ihrer Aufbewahrung in Museen .?
    »Was wollten Sie mit mir besprechen?« fragte sie ungerührt, so als säßen wir nicht mitten auf einem Friedhof.
    Zunächst konnte ich kein einziges Wort herausbringen, ich erriet jedoch, daß diese sonderbare Dekoration ein Privatvergnügen von ihr war, das nur sie selbst amüsierte. Daher brachte ich meine Mimik und Stimme wieder unter Kontrolle, denn ich gönnte ihr diesen Triumph nicht.
    »Das ist sehr einfach«, sagte ich. »Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, daß mein Bruder unter zwei Krankheiten leidet, die als Agnosie und Cotardsyndrom bezeichnet werden. Die erste führt dazu, daß er niemanden mehr erkennt, und die zweite läßt ihn glauben, daß er tot ist.«
    Sie riß die Augen auf, ohne ihre Überraschung verbergen zu können, und ich dachte, daß zumindest dieser Punkt an mich ging.
    »Mein Gott!« murmelte sie und schüttelte dabei den Kopf, als könnte sie nicht glauben, was sie hörte. »Nein . Das wußte ich nicht ... Davon wußte ich ja gar nichts.«
    Die Nachricht schien sie ziemlich mitgenommen zu haben, woraus ich schloß, daß ihr mein Bruder nicht gleichgültig war.
    »Das Sekretariat hat mich zwar informiert, als die Krankschreibung eintraf, aber ... die Diagnose haben sie mir nicht vorgelesen, und Mariona hat auch nichts weiter gesagt.«
    Wenn die Doctora sprach, blitzte mich eine blendendweiße, unregelmäßige Zahnreihe an.
    »Er scheint nicht auf die Medikamente anzusprechen, so daß sie gestern die Medikation geändert haben. Schwer zu sagen, wie es weitergehen wird. Bis jetzt ist sein Zustand jedenfalls unverändert.«
    »Das tut mir wirklich sehr leid, Señor Queralt.« Sie schien es ernst zu meinen.
    »Tja, und ...« Ich hob mit der Rechten die Aktentasche auf, strich mir mit der Linken das Haar aus der Stirn und warf es nach hinten. »Die Sache ist die, daß Daniel im Delirium merkwürdige Worte von sich gibt und komisches Zeug daherredet.«
    Sie zuckte nicht mit der Wimper.
    »Der ihn behandelnde Psychiater, Doktor Diego Hernández, und Miquel Llor, der Neurologe, können sich den Ursprung dieser Fieberphantasien nicht recht erklären. Sie vermuten allerdings, daß sie etwas mit seiner Arbeit zu tun haben könnten.«
    »Hat Mariona Ihnen nicht erzählt ...?«:
    »Doch, meine Schwägerin hat uns in groben Zügen erklärt, worin die Forschungen bestanden, die Daniel für Sie durchführte.«
    Sie blieb unerschütterlich und nahm den Vorwurf eisig zur Kenntnis.
    Ich fuhr fort: »Die Ärzte meinen jedenfalls, daß es sich um mehr handeln könnte als um reine Arbeitsüberlastung. Seine Delirien in einer merkwürdigen Sprache .«
    »Zweifellos Quechua.«
    »... lassen das zumindest vermuten. Vielleicht gab es etwas, einen bestimmten Forschungsaspekt, der ihn beunruhigte, irgendeinen Umstand, der in seinem Kopf, um es salopp auszudrücken, schließlich einen Kurzschluß verursachte. Die Ärzte haben uns gebeten herauszufinden, ob er Probleme gehabt hat, ob er sich vielleicht einer besonderen Schwierigkeit gegenübersah, etwas, das ihn zu sehr mitgenommen hat.«
    Bereits als ich dieses Gespräch ins Auge gefaßt hatte, war mir klar gewesen, daß ich meine wahren (und, wie ich weiterhin meinte, lächerlichen) Befürchtungen vor der Doctora verbergen mußte. Daher hatte ich mir ein recht glaubwürdiges Alibi zurechtgelegt, in das ich die Ärzte einbezog.
    »Ich weiß nicht, wie ich Ihnen helfen kann«, erklärte Marta Torrent in neutralem Tonfall. »Ich habe keine

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