Der verlorene Ursprung
irgendwie bekannt vor. Das hab ich schon mal gesehen.«
»Ich auch.« Meine Lieblingssöldnerin scrollte im Text schnell nach oben und unten.
»Ich könnte schwören, daß das aus Fernost kommt«, wagte ich zu behaupten. »Pakistan, Indien, Philippinen ...«
»Philippinen«, bestätigte Proxi absolut überzeugt. »Aus dem Institut für Informatik der AMA-Universität in Manila.«
»Erinnere mich an deine Gehaltserhöhung.«
»Wann genau soll ich dich daran erinnern?«
»Hab ich nur so gesagt.«
»Ah nein, das kommt überhaupt nicht in die Tüte!« Jabba ließ keine Gelegenheit aus. »Ich bin Zeuge!«
»Ist ja gut!« stammelte ich und drehte meinen Sessel in Proxis Richtung. »Wir sprechen drüber, wenn wir diese Geschichte hinter uns haben. Versprochen! Jetzt erzähl erst mal, was du noch über diese Programmierer weißt, Proxi.«
»Studenten im letzten Jahr ihres Informatikstudiums. Die AMA-Universität ist die prestigeträchtigste auf den Philippinen. Sie liegt im Finanzdistrikt von Makati. Aus ihren Hörsälen sind wahre Genies hervorgegangen, wie dieser Onel de Guzman, Autor des >I love you<-Virus, der weltweit fünfundvierzig Millionen Rechner verseucht hat. Ganz zu schweigen von den vier Wochen harter Arbeit, die es mich gekostet hat, um eine Ansteckung unserer Systeme zu verhindern. Diese Jungs programmieren, um sich das Studium zu finanzieren oder um im Westen Arbeit zu finden. Sie sind schlau, arm und haben Zugang zum Internet. Sie müssen Geld verdienen und Aufmerksamkeit erregen.«
»Und wie kommt Daniel an so ein Programm?«
»Ich hab die Kommentare durchsucht«, erläuterte Jabba. »Hab aber nichts gefunden. Ich bezweifle sehr, daß das Programm irgendwo publiziert worden ist, denn die Zeitschriften wählen normalerweise sehr sorgfältig aus, was sie veröffentlichen. Der Name des Programms sagt auch nicht viel: >Jovi-Key< ... vielleicht >Schlüssel des Jovi Schwer zu sagen. Es könnte höchstens sein, daß Daniel es im Internet aufgestöbert hat, aber das würde mich wundern, denn die Programme, die gratis ins Internet gestellt werden, haben ein Copyright. Dieses hat keins.«
»Was nicht normal ist!« Proxi hob den Zeigefinger in die Luft wie ein Pantokrator.
»Da hast du recht.« Ich war perplex.
Es war drei Uhr, und wir machten zähneknirschend eine Pause, um auf der Terrasse zu essen. Keine halbe Stunde später hockten wir jedoch wieder im Studio und arbeiteten uns in die Tiefen des Laptops vor. Magdalena brachte uns Tee und Kaffee, und über dem Öffnen und Lesen von Dateien und dem Studium von Fotos und Texten schoß die Zeit nur so dahin.
Alles war da. Wir hatten uns nicht getäuscht. Mit äußerster Präzision waren wir Daniels Schritten gefolgt und hatten in einer intensiven, anstrengenden Woche das nachvollzogen, was er, völlig auf sich gestellt, in sechs Forschungsmonaten herausgefunden hatte. Aber Daniels Anstrengung hatte sich gelohnt. Die durch die archivierten Dokumente belegten Entdeckungen waren echt faszinierend. Mein intelligenter Bruder hatte ganze Arbeit geleistet, und der dahintersteckende Aufwand erklärte, warum er erschöpft und nervlich am Ende gewesen war.
Seinen chaotischen Notizen und Graphiken war zu entnehmen, daß er bei der Untersuchung des Quechua-Quipu der Miccinelli-Dokumente im Auftrag von Marta Torrent immer wieder auf große Schwierigkeiten gestoßen und schließlich zu der Überzeugung gelangt war, daß diese Knotensprache kein reines Quechua sein konnte. Im Verlauf seiner Nachforschungen hatte er bei Garcilaso de la Vega eine Anspielung auf die Geheimsprache der Langohren entdeckt, die sich letztendlich als das Aymara herausgestellt hatte, auch wenn es von Elementen des Quechua durchsetzt war. Daniel hatte - genau wie wir später -entdeckt, daß etwas am Aymara seltsam war, hatte deshalb die Arbeit an den Knotenschnüren aufgegeben und begonnen, sich auf die Tocapus zu konzentrieren und die eingewebten Quadratmuster zu studieren. Die Lektüre von Guaman Poma und den anderen Chronisten hatte ihn nämlich auf den Gedanken gebracht, daß die Tocapus das Schriftsystem der >heiligen Sprache< sein könnten. Je mehr er über die Tocapus herausfand, desto überzeugter war er, daß sich ein altes Geheimnis dahinter verbarg. Eines, das mit der Macht der Worte zu tun hatte. Er stieß auf die Yatiri, auf Tiahuanaco, und zu unserer Überraschung brachte er den seltsamen Kopfkult der Aymara mit der erwähnten Macht der Worte in Zusammenhang. Deshalb begann
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