Der verlorne Sohn
lange, wie es der Herr Doctor bestimmt.«
Sie wendete das Gesicht nach Zander, und dieser sagte:
»Wir wollen später davon sprechen, liebe Frau. Jetzt bedürfen Sie noch meiner Pflege. Sind Sie nun beruhigt?«
»Ja. Ich danke Ihnen. Ich fühle mich wohl, aber müde. Mein Kopf thut mir weh.«
»So werden Sie sich jetzt zu Bett begeben. Ich möchte haben, daß Sie recht, recht lange und ungestört schlafen. Das wird Ihnen neue Kräfte geben und zu Ihrer schnellen Gesundung Vieles beitragen.«
»Soll mein Sohn bei mir bleiben?«
»Nein. Sie bedürfen ihn während des Schlafes nicht.«
»Auch dort Marie nicht?«
»Nein. Wenn Sie erwachen, werde ich nach ihnen schicken, wenn Sie das wünschen. Ich werde jetzt Ihre Wärterin rufen, der können Sie sich anvertrauen.«
»Eine Wärterin? Auch diese kenne ich nicht. Das Fieber muß sehr schlimm gewesen sein!«
Zander holte die Verwandte aus dem Vorzimmer, von welcher sich die Kranke, nachdem sie von ihrem Sohne und von Marie Abschied genommen hatte, geduldig fortführen ließ. Er schloß die Thür hinter ihr und sagte, indem er tief und erleichtert Athem holte: »Gott dem Herrn sei Dank, sie ist gerettet!«
Fels streckte ihm beide Hände entgegen und sagte:
»Herr Doctor, wenn ich Ihnen das vergesse, so möge Gott meiner vergessen! Ich bin arm; ich kann Sie nicht bezahlen, aber mein Leben gehört Ihnen.«
Marie weinte vor tiefer Bewegung, und der Fürst, welcher hinter der Portière hervorgetreten war, gab ihm auch die Hand und sagte tief gerührt: »Auch ich werde diese Stunde nicht vergessen! Das haben Sie meisterhaft gemacht. Da muß ja Ihr Ruhm von Tag zu Tag steigen! Aber vorsichtig, höchst vorsichtig muß sie behandelt werden. Nicht?«
»Allerdings! Die Zeit nach ihrer Erblindung ist ihr nicht gegenwärtig, man darf von dieser Zeit jetzt noch nicht sprechen. Nur nach und nach darf die eine und die andere Bemerkung fallen, ganz je nach dem ihr Geist erstarkt. Darum soll sie auch nicht mit Bekannten verkehren, und darum darf selbst ihr Sohn so wenig wie möglich kommen.«
»Aber wenn sie nach mir verlangt?« fragte Fels.
»So lasse ich Sie holen, wenn ich es für nothwendig halte. Im Uebrigen aber können Sie mir ja vertrauen.«
Fels entfernte sich mit Marien. Beide hatten sich so viel zu sagen, und Beide fühlten sich so glücklich wie noch nie in ihrem Leben.
Der Fürst war noch für einige Minuten zurückgeblieben. Er gedachte des jetzt Nächstliegenden.
»Ich dachte nicht, daß zwischen dem Gerichtsamte und jetzt eine so lange Zeit vergehen wird. Jetzt werden Sie sich mit dem Blutwasser zu beschäftigen haben?«
»Natürlich! Ich darf nicht langer säumen.«
»Sollte sich Ihr Verdacht bewähren, so bitte ich Sie, dem Staatsanwalt einen Boten zu senden, damit ja keine Vorsichtsmaßregel außer Acht gesetzt werde.«
Nun verabschiedete er sich; aber er fuhr noch nicht nach Hause, sondern zunächst zu einem Herrn, bei dem er noch nicht gewesen war, nämlich zum Director des Residenztheaters, welcher sich nicht wenig überrascht fühlte, als ihm die Karte dieses vornehmen Herrn gebracht wurde.
Er eilte ihm entgegen in’s Vorzimmer und führte ihn selbst herein, um ihm unter tiefen Verbeugungen und rednerischen Höflichkeiten einen Stuhl anzubieten.
»Ich habe im heutigen Blatte«, begann der Fürst, »eine Bemerkung gelesen, welche mich sehr interessirt. Ist es wahr, daß Ihr Kassirer sich gewisse Unregelmäßigkeiten erlaubt hat?«
»Leider ja.«
»Ist es schlimm?«
»Das Manquo ist ziemlich bedeutend. Wir haben den Mann entlassen und unter Anklage stellen müssen.«
»Ist seine Stelle besetzt?«
»Noch nicht. Wir befinden uns in Verlegenheit. Bewerber wird es genug geben.«
»Das ist gewiß. Ich bin gekommen, Ihnen einen Mann zu empfehlen. Das wird Ihnen befremdlich erscheinen, da ich weder zu Ihnen noch zu Ihrem Bühneninstitut in Beziehung stehe; aber der Mann ist es werth, daß er berücksichtigt wird. Man hat Vieles gut an ihm zu machen.«
»Meinerseits soll Ihre Empfehlung ganz gewiß berücksichtigt werden. Darf ich den Namen hören?«
»Der frühere Theaterdiener Werner.«
»Der? Ach so! Hm!«
Er fuhr sich mit der Hand verlegen über die Stirn.
»Der Vorschlag gefällt Ihnen nicht?« fragte der Fürst.
»O, mir wäre er grad sehr sympathisch. Ich bin mit Werner stets zufrieden gewesen; ich darf sogar sagen, daß ich es bin, der ihn so lange noch gehalten hat. Alle Anderen waren diesem braven Manne ganz unbegreiflicher Weise
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