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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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sobald eine gewisse Baronin zur Ruhe gegangen war.«
    Sie erröthete und fragte:
    »Konnten Sie weit in dieses Fenster blicken?«
    »Ich konnte das ganze Zimmerchen übersehen.«
    »Abscheulich!«
    »O nein. Was ich da sah, war keineswegs abscheulich.«
    Hulda war keineswegs prüde. Sie wußte, daß sie hübsch sei. Sie hörte gern, daß man ihr dies sagte. Sie wollte es auch hören. Sie wollte wissen, was er gesehen habe und welchen Eindruck sie gemacht hatte; darum fragte sie:»Eigentlich gehen mich Ihre Entdeckungen gar nichts an; aber vielleicht ist es interessant, was Sie erblickten?«
    »Sehr! Ich lag des Abends zur bestimmten Zeit stets an meinem Fenster. Ich hatte kein Licht brennen, um mich nicht zu verrathen. Wenn dann drüben das Licht erschien, sah ich ein wunderherrliches Mädchen, welches – –«
    »Welches – – nun?«
    »Welches schlafen ging,« flüsterte er, sich verliebt zu ihr niederbeugend.
    »Da war es höchst unrecht von Ihnen, sich an das Fenster zu stellen. Sie sind ein sehr indiscreter Herr!«
    »O, die Dame war noch viel indiscreter. Sie hätte doch die Vorhänge schließen können.«
    »Vielleicht hatte sie keine Ahnung, daß sie belauscht werden konnte. Uebrigens pflegen die Herren sich nur zu oft solcher Sachen zu rühmen, die gar nicht geschehen sind.«
    »Oho! Was ich sah, war sehr wirklich!«
    »Nun, was haben Sie denn gesehen?«
    Die Musik hatte einen rauschenden Walzer begonnen. Der Goldarbeiter mußte nahe an das hübsche Mädchen heranrücken, um verstanden zu werden. Das war ihm sehr lieb.
    Er hielt seinen Mund fast ganz an Hulda’s Ohr und flüsterte:
    »Zunächst also ein reizendes, allerliebstes Zöfchen.«
    »Dann weiter?«
    »Dann war ich Zeuge der Nachttoilette.«
    »Schlechter Mensch!«
    »Ich sah Alles, Alles. Sie pflegte das Licht erst zu verlöschen, wenn sie bereits im Bettchen lag.«
    »Wußten Sie, wer sie war?«
    »Noch nicht. Natürlich besorgte ich mir einen Operngucker, um – –«
    »Sie sind wirklich ein ganz gefährliches Subject!« unterbrach sie ihn.
    »Da will ich lieber weiter nichts erzählen. Natürlich aber erkundigte ich mich nach ihrem Namen.«
    »Bei wem?«
    »Bei einem der Diener, den ich zuweilen in der Restauration traf. Er sagte mir, daß die Betreffende Hulda Neumann heiße, aber bereits vergeben sei.«
    »Das war Lüge!«
    »Bitte, leugnen Sie nicht. Anton, der Diener des Fürsten von Befour, besuchte Sie so oft und zu solcher Zeit, wie es nur ein Geliebter thun darf.«
    »Nun, das ist Ihnen doch wohl sehr gleichgiltig gewesen?«
    »Gleichgiltig? Alle Teufel! Ich hätte ihn todtschlagen mögen!«
    »Sind Sie wirklich so bösartig?«
    Ihr Gesicht hatte bei dieser Frage einen ganz anderen Ausdruck angenommen. Aus den Wangen war die Farbe gewichen, und ihr Blick ruhte begierig forschend auf ihm.
    »Bösartig bin ich nicht,« antwortete er.
    »Sie wollten doch todtschlagen?«
    »Diesem Hallunken könnte ich allerdings Eins auswischen!«
    »Aus purer Eifersucht!«
    »Ja, ich will es gestehen, aus Eifersucht, aber auch, weil ich genau wußte, daß er Sie betrog.«
    »Mich betrügen? Das glauben Sie ja nicht!«
    »Natürlich gesteht kein Mädchen so Etwas gern ein; aber es ist dennoch wahr. Er wollte Sie nur aushorchen.«
    »Woher vermutheten Sie das?«
    »Weil ich zufällig erfuhr, daß er Geheimpolizist war.«
    »Hätte ich es doch auch gewußt,« grollte sie.
    »Wie gern hätte ich es Ihnen gesagt!«
    »Warum thaten Sie das nicht?«
    »Ich konnte es doch nicht wagen. Ich glaubte natürlich, Sie seien im Einverständnisse mit ihm.«
    »Das ist mir nicht eingefallen,« antwortete sie verlegen. »Sie hätten gar nichts gewagt.«
    »Und sodann wußte ich damals doch auch gar nicht, was er eigentlich beabsichtigte; erst jetzt weiß ich es, nun ich erfahren habe, daß Ihr Baron der Hauptmann gewesen ist. Nun hat dieser Anton seinen Zweck erreicht und sieht Sie nicht mehr an. Ist’s nicht so?«
    Ihr Auge blitzte vor Zorn und Haß.
    »Mich nicht mehr ansehen!« stieß sie hervor. »Ach! Könnte ich doch Etwas erfinden, was ihm wehe thäte, so recht wehe in’s tiefste Herz, in’s Leben hinein!«
    »Denken Sie nach!«
    »Ah! Man ist doch zu schwach zur Rache!«
    »So suchen Sie sich Hilfe!« meinte er, ihre Hand ergreifend.
    Sie ließ sie ihm, blickte ihn forschend an und sagte:
    »Wer sollte mir helfen? Etwa Sie?«
    »Warum nicht? Wenn es lohnte!«
    »Welchen Lohn meinen Sie?«
    »Sie selbst.«
    Er hatte sich ganz zu ihr herübergebogen und blickte

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