Der verlorne Sohn
hierher kommt.«
»In die Schänke? Ich glaube, es giebt nur eine einzige hier?«
»Ja.«
»Deren Besitzer der Schmied ist?«
»Er ist der Wirth.«
»Sapperment, wie unvorsichtig! Gerade dieser sollte am Allerwenigsten von unserer Anwesenheit erfahren. Na, kommen Sie herein in die Stube. Nun haben wir auf den Amtmann zu warten.«
Als sie in die Stube traten, war der Todtengräber nicht zu sehen, und als Arndt nach ihm fragte, antwortete die Frau: »Er ist schnell einmal fortgegangen, wird aber sehr bald wiederkommen.«
»Er hatte sich nicht zu entfernen! Glaubt er etwa, daß wir uns nach ihm richten müssen?«
»Entschuldigen Sie, lieber Herr! Es war wegen der Werkzeuge.«
»Die hat er doch jedenfalls zu Hause?«
»Ja, aber jetzt im Winter ist der Boden so hart, daß Sie lange warten müßten, bis das Grab geöffnet ist. Er ist daher gegangen, sich die Spitzhaue schärfen zu lassen.«
Arndt zog die Brauen zornig zusammen.
»Die Spitzhacke schärfen?« sagte er. »Nicht wahr, das macht doch nur der Schmied?«
»Ja.«
»Na, so steht sehr zu vermuthen, daß wir heute ein ganz gehöriges Fiasko zu verzeichnen haben werden.«
»Weshalb?«
»Das werden Sie schon erfahren, meine Beste. Setzen wir uns!«
Sie nahmen auf der alten Holzbank Platz, welche an dem Kachelofen stand, und hatten ziemlich lange zu warten, bis der Amtmann eintraf. Dieser grüßte und fragte dann: »Haben Sie diese Leute hier schon verständigt?«
»Natürlich!« antwortete Arndt, und sein Ton ließ errathen, daß er sich nicht in der rosigsten Laune befinde. »Ich höre, daß Sie mit nach der Schänke gefahren sind?«
»Ja. Es war unterwegs so kalt; ich mußte mir einen Schluck Grog geben lassen.«
»Hm! Sie sind allein?«
»Nein. Ich habe noch einen Mann mit, um das Protocoll aufsetzen zu lassen.«
»Wo befindet sich dieser?«
»Er wird gleich kommen.«
»Ah! Auch er verspürte Appetit nach Grog?«
»Nur nach Kaffee. Er traf, eben als wir aus der Schänke kamen, den Ortsvorsteher und hatte in amtlicher Angelegenheit einige Erkundigungen einzuziehen. Ich bin unterdessen natürlich weitergegangen.«
Arndt drehte sich scharf auf dem Absatze herum und stieß die zornigen Worte hervor:
»So! Das ist ja recht schön!«
»Wieso?« fragte der Amtmann, über den Ton erstaunt, in welchem dies gesagt worden war.
Arndt drehte sich wieder um. Er sah gar nicht so aus, als ob er geneigt sei, Rücksicht auf die Stellung des Richters zu nehmen, sondern er antwortete ebenso zornig wie vorher: »Das fragen Sie noch?«
»Herr! Ich verstehe Sie nicht! Ich begreife Sie nicht!«
»Ich Sie ebenso wenig! Bitte, beantworten Sie mir die Frage: Wir sind zum Zwecke einer Exhumirung hier?«
»Ja.«
»Dieselbe soll eine geheime sein?«
»Gewiß!«
»Daher sollten Sie bereits vor dem Dorfe aussteigen und sich direct hierher verfügen?«
»So war ausgemacht. Aber die Kälte –«
»Pah! Ein Beamter muß wissen, was er zu thun hat, wenn er vor der Wahl steht, zwischen seiner Pflicht und einem Glase Bauerngrog!«
»Herr! Ich hoffe, daß Sie wissen, welches Amt ich bekleide!«
»Eben weil ich das weiß, habe ich geglaubt, daß Sie thun, was Ihres Amtes ist.«
Der Richter kaute am Barte. Er war verlegen und zornig zugleich, doch unterdrückte er möglichst seinen Ärger.
»Das hat mir noch Niemand gesagt,« meinte er.
»So thut es mir leid, daß gerade ich es sein muß, der voraussichtlich den Nachtheil trägt, welcher Ihnen diese erste Rüge einbringt.«
»Rüge?«
Bei diesem Worte röthete sich das Gesicht des Beamten.
»Ja, Rüge,« antwortete Arndt.
»Herr, eine Rüge nehme ich nur von einem meiner Vorgesetzten entgegen.«
»Nun, ich habe mich Ihnen gegenüber legitimirt und glaube, genugsam nachgewiesen zu haben, daß ich, wenn auch nicht für immer, so doch in der gegenwärtigen Angelegenheit Derjenige bin, dessen Weisungen Sie nachzukommen haben. Ich bat Sie, mir einen Actuar mitzugeben; Sie entschlossen sich, selbst mitzukommen, und haben es sich also gefallen zu lassen, wenn ich Sie, falls von Ihrer Seite ein so bedeutender Fehler begangen wird, eben als Actuar, als subaltern anrede. Oder wünschen sie vielleicht, daß ich vorher Ihre Vorgesetzten frage, wie ich mich in diesem Falle zu Ihnen zu stellen habe? Diese Herren würden dann erfahren, daß ich jetzt nicht Veranlassung habe, mit Ihnen zufrieden zu sein.«
Der alte Förster hatte alle Achtung vor seinem Vetter Arndt; jetzt aber leuchteten seine Augen vor stolzer Freude auf.
Weitere Kostenlose Bücher