Der verlorne Sohn
nicht?«
»Ich bin für Jedermann ausgegangen.«
Jetzt warf die dienstbare Seele, bevor sie sich entfernte, einen sehr respectvollen Blick auf Holm.
»So, mein Herr, jetzt sind wir allein und hoffentlich auch ungestört,« bemerkte dann die Dame.
»Danke. Ich mußte diese Bitte aussprechen, weil mein Besuch bei Ihnen eigentlich ein geheimer sein soll. Ich habe mich in sehr vertraulichen, fast möchte ich sagen, diplomatischen Äußerungen zu bewegen, und das läßt mich erwarten, daß Sie mir diese oder jene unerwartete Wendung nicht in persönliche Anrechnung bringen. Darf ich fragen, ob ich die Ehre habe, von der gnädigen Frau gekannt zu sein?«
»Näher leider nicht.«
»Von fern also doch?«
»Nun, ich erinnere mich, Sie gesehen zu haben.«
»Wo? Vielleicht in der prinzlichen – oh, ah, vielleicht in einer Theaterloge?«
»Wahrscheinlich.«
Man sah es ihrem Gesichte an, daß sie sich freute, daß er sich versprochen hatte. Sie nahm nun an, daß sie es mit einem Herrn von feinster Distinction zu thun habe.
»Zunächst eine Frage,« fuhr er in leicht fließendem Conversationstone fort, »welche Ihnen vielleicht höchst indiscret erscheinen mag, aber doch sehr gut gemeint ist. Man sprach gestern von Ihnen – wo, das ist für jetzt Nebensache. Sie sind eine Erscheinung, welche nicht gut übersehen werden kann. Man erwähnte Ihre gesellschaftlichen Dienste, Ihr geistiges Können, Ihren Einfluß auf gewisse Kreise, und dabei wurden Sie von einer der hohen Damen ›Baronin‹ genannt. Dieser Titel wurde angezweifelt. Darf ich fragen, ob mit Recht oder nicht?«
Sie war hochroth geworden. Erst nach einer längeren Pause antwortete sie.
»Wissen Sie, daß Ihre Frage eine Beleidigung enthält?«
»Eine scheinbare nur, gnädige Frau. Nicht jedes Verdienst findet seine Belohnung, und es ist ja Pflicht gewisser Kreise, unbelohnte Verdienste aufzusuchen.«
Das war Balsam auf die soeben geschlagene Wunde. Sie antwortete jetzt in versöhntem Tone:
»Man nennt meinen Mann Baron, weshalb, ist mir unbegreiflich, da er nicht von Adel ist.«
»Aber Sie sind die Tochter einer hervorragenden Familie?«
»Auch mein Vater war nicht eigentlich adelig; er gehörte einem alten Patrizierstamme an.«
Das war eine Unwahrheit; aber Holm nickte verständnißinnig und sagte:
»Nun, das ist so gut wie Adel. Man wird das in Berücksichtigung nehmen, gnädige Frau. Diese Frage mußte ich als Einleitung vorausschicken. Der Tochter eines alten, guten Patrizierhauses darf ich nun auch das Weitere anvertrauen.«
»Bitte, bitte!« sagte sie, höchst geschmeichelt.
»Es wird Ihnen bekannt sein, daß in unseren hohen und höchsten Kreisen die Kunst ihren Wohnsitz aufgeschlagen hat. Man dichtet, man modellirt, man malt, man musicirt, und der Künstler ist bekanntlich weniger starr, wenn es sich um Standesvorurtheile handelt. Die Rücksicht für die Kunst geht ihm über Alles. Nun handelt es sich hier um eine Dame, welche mit Leidenschaft malt und dieser Leidenschaft –«
»Sie meinen Prinzeß Verona?« fiel sie schnell ein.
»Bitte! Ich darf keinen Namen nennen. Die betreffende Dame nun hat sich vorgenommen, das Bild der Kleopatra zu schaffen. Gnädige Frau haben doch wohl den Namen Kleopatra bereits gehört?«
»Gewiß! Kleopatra war Königin von Ostindien und besiegte den Kaiser Herodes und auch den Kalifen.«
Holm mußte sich Mühe geben, ein Lachen zu unterdrücken. Er nickte also sehr ernsthaft und fuhr fort: »Sie war eine der größten Schönheiten, welche es gegeben hat, eine jener characteristischen Schönheiten, deren Reiz, deren Macht nicht eigentlich in der Harmonie der Gesichtszüge liegt, sondern in dem Geist, der diese Züge bewegt und belebt und aus allen Blicken spricht. Kleopatra ist ein großes, ein gewaltiges Sujet für eine Künstlerin; aber ebenso schwierig und fast unausführbar, weil unsere Gegenden und unsere Zeiten kein ähnliches Gesicht erzeugen wollen.«
Er hielt einige Augenblicke inne, um durch die Spannung, in welche er seine Zuhörerin versetzte, seinen Erfolg dann zu verdoppeln.
»Zu ihrer allerhöchsten Verwunderung,« fuhr er fort, »hat aber die betreffende Dame vor Kurzem ein Gesicht entdeckt, welches ganz demjenigen der Kleopatra gleicht: streng, ernst, dennoch mild und lieblich, von dem Widerscheine eines tiefen Gemüthes durchgeistigt und so doch von einer Hoheit, welche eine geradezu königliche genannt werden muß.«
Wieder hielt er inne, um eine sehr bemerkbare Pause zu machen. Da
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