Der Vermesser (German Edition)
das zerknitterte Schriftstück in der Tasche, erneut zum Badger auf, und wieder wartete er. Wieder horchte er auf Schritte auf der Holztreppe, die Hand an der Tür. Und wieder blieb die Loge des Captain leer. Tom wagte sich nicht auszumalen, was aus Lady geworden war. Dass Brassey ihn von der anderen Seite des Raums genau beobachtete und dem Gehilfen etwas zuflüsterte, merkte er nicht. Er setzte sich in eine Ecke und schürte die Wut, die in ihm anschwoll und die Leere anfüllte, die die Hündin in ihm hinterlassen hatte. Er trank einen Whisky und noch einen. Seine Kehle brannte. Sie beide waren getäuscht und betrogen worden. Doch falls dieser Schweinehund meinte, Tom würde seinen Verlust mit einem Achselzucken abtun, hatte er sich gründlich verrechnet. Tom war kein Märtyrer wie diese sanften Narren in der Bibel, die auch noch die andere Wange hinhielten. Schon bald würde der Captain sich wünschen, dem Kanaljäger und seiner Hündin niemals über den Weg gelaufen zu sein. Besänftigt von der Heftigkeit seines Zorns, von einer unbändigen Rachelust, stürzte Tom ein weiteres Glas hinunter. Zweifelsohne hätte der Captain, wäre er in diesem Moment zur Tür hereingekommen, um Tom seine sechzig Guineen auf einem funkelnden Silbertablett zu servieren, Toms Enttäuschung handgreiflich zu spüren bekommen.
Aber der Captain kam nicht. Am dritten Samstag, als zur gewohnten Zeit der Ring geschlossen wurde und der Gehilfe eifrig den blutbespritzten Boden schrubbte, baute sich der Wirt vor Tom auf. Er kam sofort zur Sache.
»Du bist hier nicht mehr erwünscht. Falls du dich hier je wieder blicken lässt, fliegst du hochkant wieder raus. Kapiert?«
Tom starrte ihn an, weniger wütend als überrascht.
»So miese Typen wie du vertreiben mir nur die guten Gäste«, fuhr Brassey fort. »Die machen sich nicht gern mit den Leuten gemein, die die Ratten liefern. Und überhaupt habe ich einen neuen Lieferanten.«
»Aber der Captain …«
»Dein Geschäft mit dem Captain interessiert mich nicht.« Brassey wippte auf den Fußballen und rollte die Augen. »Mich interessiert nur, dass
ich
ein Geschäft am Laufen zu halten habe. Wenn du hier noch einmal auftauchst, kriegst du noch ganz andere Probleme als nur eine nicht beglichene Wette.«
Es war Brasseys Gehilfe, der ihn – trotz seiner schmächtigen Gestalt stark wie ein Bulle – hinausbugsierte. Tom hämmerte gegen die verschlossene Tür, bis ihm die Arme wehtaten. Als er schließlich das Brüllen sein ließ, loderte der Zorn in ihm lichterloh. Er würde den Captain finden. Wenn der Captain irgendwo zu finden war, würde er ihn aufstöbern. Und wenn er ihn gefunden hätte, würde der Captain zu Gott beten und wünschen, er wäre nie geboren worden.
XIX
D en ganzen Sonntag streifte Tom in der Stadt umher. Vor dem Morgengrauen hatte es wieder stark geschneit, und die frostige Luft verschlug ihm fast den Atem. Von Soho wanderte er zum Fluss und dann am Tower vorbei zum Pool, wo es stark nach Salz, Teer und verrottenden Tauen roch – ein Geruch wie von nassem Gras. Dort reckten sich die Masten schier endlos weit in den Himmel wie ein Wald kahler Bäume. Tom spazierte weiter zu den Minories und den Ratcliffe Highway entlang bis zu den gefrorenen Sümpfen von Shadwell und Poplar. Der Captain hatte Lady. Dieser Gedanke peinigte ihn wie eine Gräte, die im Hals feststeckt. Aber Tom würde die beiden schon finden. Zwar hatte der Captain sie so gut wie gestohlen, aber immerhin hatte sie ihn vierzig Guineen gekostet. Er würde sie nicht als Schoßhündchen halten, nicht bei diesem Preis. Er würde Geschäfte mit ihr machen wollen, um wiederzubekommen, was er für sie ausgegeben hatte. Er würde sie zu Kämpfen schicken, und zwar bald, wenn er es nicht schon getan hatte. Fragte sich nur, wo.
Als Erstes suchte Tom das King’s Head auf dem Cock Hill auf, wo er mit dem Wirt auf gutem Fuß stand, weil Tom zu seinen verlässlichen Lieferanten zählte. Boggis war jedoch kein Mann aufgefallen, auf den die Beschreibung des Captain gepasst hätte, und auch kein neuer Hund. Der einzige Wirt, mit dem Tom an diesem Tag außerdem noch ein Gespräch führte, war ein ehemaliger Preisboxer mit einer Nase so platt wie eine Flunder, der in den Ruinen einer alten Schmiede in den sumpfigen Ausläufern von Mile End eine Art Schenke betrieb. Er stürzte das Glas Rum mit Wasser hinunter, das Tom ihm spendiert hatte, und blickte finster drein. Toms Dienste benötige er nicht, meinte er; seine Ratten
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